LISSOS

Asklepios im heiligen Hain

von Margaretha Rebecca Hecht Hopfner

Auf dem E4-Weitwanderweg, der sich von Elafonisi, der Hirschinsel, im aeussersten Westen Kretas bis nach Chora Sfakion an der Suedkueste entlang erstreckt, bin ich auf meiner Wanderung mit Beginn in Paleochora und Sougia als Ziel nach etwa fuenfstuendiger sehr beschaulicher und mit zahlreichen Pausen angereicherter Wanderung in der Bucht von Lissos, besser in den noerdlich ueber ihr in den Haengen inmitten ueppiger Vegetation eingebetteten Ueberresten der antiken Hafenstadt Lissos angelangt. Was ich hier zu sehen bekam, waren nicht einige scheinbar zufaellig uebriggebliebene antike Relikte, sondern tatsaechlich das Areal einer bedeutenden antiken Stadtanlage, deren heutiges Erscheinungsbild eine differenziertere Vorstellung davon vermittelt, wie sie damals ausgesehen haben mag.

Lissos liegt wenige Kilometer in westlicher Richtung entfernt vom Fischer- und Feriendorf Sougia. Von dort aus dauert die Wanderung, die durch eine pinienbewachsene Schlucht ebenso fuehrt wie ueber ein kurzes Stueck Hochplateau und danach die steinigen Haenge hinunter, etwa eineinhalb Stunden in einer Richtung.

Das antike Lissos erlangte in klassischer und roemischer Periode bis hinein in die byzantinische Aera Bedeutung als Hafen und Handelsknotenpunkt von Elyros, der in hellenistischer Zeit wichtigsten Stadt Westkretas, einerseits, und andererseits wurde hier wegen des Vorkommens von Heilquellen ein den Goettern Asklepios und Hygeia geweihtes Heiligtum errichtet, dessen dorischer Tempel mit seinem floral, ornamental und figuerlich gemusterten Mosaikboden heute noch exisitert, und welches seinerzeit der Stadt zu Beruehmtheit verhalf. Weiters sind von der Stadt selber Reste von Thermen, eines Aequaduktes und eines Theaters erhalten, und es gibt zudem Hinweise auf das Vorhandensein weiterer Tempelbauten. Aus spaeterer Zeit befinden sich im Areal unter anderem zwei Kapellen, Agios Kyriakos und Panagia, die ueber den Grundmauern fruehchristlicher Basiliken erbaut wurden.

Wie bekannt ist, wurde in Lissos neben Asklepios und Hygeia auch die Goettin Artemins Diktynna verehrt. Diese Goettin wurde in der Antike auf Goldmuenzen - Lissos besass eine eigene Waehrung - abgebildet, die zweite Seite der Muenze schmueckte ein Delphin, der in minoischer Zeit schon als Symbol fuer die Freundschaft galt. Die wirtschaftliche Stellung von Lissos zeigt sich unter anderem darin, dass ihre Handelsflotte bis zu den nordafrikanischen Staedten kreuzte.

1957 fand ein Anwohner auf der Suche nach Wasserquellen antike Statuen auf diesem Gebiet, in der Folge erforschte der Archaeologe Nikolas Platon das Areal, er leitete die Ausgrabungen und legte das Asklepios-Heiligtum frei. Die dabei entdeckten zahlreichen Funde - Inschriften, Statuen, Votivgaben an die Goetter - sind heute im Archaeologischen Museum in Chania ausgestellt. Eine Besonderheit unter den Funden weiterer Ausgrabungen ist eine kleine goldene Schlange, in Gestalt eines Armreifes, so meine ich. Schlangen hatten schon in minoischer Zeit herausragende Bedeutung, und wer sieht hier nicht sogleich die inzwischen vielfach abgebildete und im Archaeologischen Museum von Heraklion im Original ausgestellte "Schlangengoettin" vor sich, jene kleine im Palast von Knossos aufgefundene Fayencestatuette einer minoisch gekleideten Dame, die mit ihren ausgestreckten Armen Schlangen gegen den Himmel haelt bzw. sie dem Betrachter praesentiert. Im Asklepion, der antiken Heilstaette fuer Kranke, wurden Schlangen gehalten und gepflegt, welche therapeutische Funktionen innehatten und in der Therapie Kranker Verwendung fanden, den Tieren wurde sogar fruchtbarmachende Wirkung zugeschrieben. Diese weit zurueckreichende rituelle und auch therapeutische Tradition ist wohl ein Grund, dass die Schlange bis zum heutigen Tag als medizinische Symbolgestalt in Verwendung geblieben ist.

So bin ich in Lissos an einen Ort gekommen, wo ich im Zusammenspiel einer wunderbaren Naturkulisse mit den archaeologischen Zeugnissen und ihren historisch bedingten Veraenderungen - eine der Quellen in der Naehe des Asklepios-Heiligtums soll allerdings noch nicht versiegt sein und die kleine geschuetzte Bucht von Lissos laedt uns heute zum genuesslichen Bad im Lybischen Kristallmeer ein, zum Verweilen, Entspannen und zum Erholen - ein Stueckchen kretischer Landschaft vorfand, an dem ich eine kleine Weile davon getraeumt habe, dass die Welt ein wenig heiler werden moege, ein klein wenig wenigstens...

Folgenden Werken habe ich wertvolle Hinweise fuer diesen Text entnommen:
Die Schlucht "Der Heiligen Irene" (Agia Irini). Mit 85 Fotografien. Rodowani, Elyros, Sougia (Souia), Lissos, Koustogerako. Chania. o.J.
Schneider, Lambert: Kreta. Dumont Kunstreisefuehrer. Koeln. 1998.
Vassilakis, Antonis: Kreta. Geographie - Geschichte - Museen - Archaeologische Staetten und Monumente. Athen.o.J.
Sakellarakis, J.A.: Heraklion. Das Archaeologische Museum. Ein Bildfuehrer. Athen. 1999.

M.R. Hecht Hopfner. Wien. 2025. Alle Rechte vorbehalten.

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