Agja Roumeli

Das antike Tarrha

von Margaretha Rebecca Hecht Hopfner

Agja Roumeli, zwischen Sougia und Loutro an der Suedkueste Kretas gelegen, ist heute Durchgangsstation fuer tausende und abertausende Touristen, die nach durchwanderter Samaria-Schlucht von hier aus mit dem Schiff entweder in Richtung Chora Sfakion oder nach Palaeochora weiterziehen. Taeglich am Nachmittag ergiesst sich ihr Strom in den kleinen Ort, welcher sich an der Stelle befindet, wo sich die maechtigste Schlucht Kretas, zum Lybischen Meer hin oeffnet.

Im oertlichen Bereich des heutigen Agja Roumeli wurde einst Apollo in einem eigens fuer ihn errichteten Tempel verehrt und ueber gut ein Jahrtausend ging hier die antike Stadt Tarrha ihren Geschaeften nach. Der Mythos sagt, der Tarrhaeische Apoll habe mit der Nymphe Akakallis, einer Tochter des Minos und der Pasiphae, im Hause des Priesters Karmaenor die Zwillinge Phylandros und Phylakis gezeugt, die das antike Tarrha gegruendet haben sollen. Dort, wo heute die Pagnaia-Kirche steht, befand sich vermutlich der Tempel, in welchem der Gott Apollo angebetet wurde. Tarrha selbst war eine bluehende Handelsstadt mit eigener Muenzpruegung, die auf ihren Muenzen eine Wildziege auf der einen und eine Biene auf der anderen Seite abbildete, und sie war Mitglied des westkretischen Bundes mit dem grossen Gortyn. Zahlreiche Glasfunde in Grubengruebern, die vom Archaeologen G. Weinberg freigelegt wurden, leiten unter anderem zur Annahme, dass sich in Tarrha eine Glasmanufaktur befunden habe und Glasartikel zu den wichtigen Ausfuhrprodukten zaehlten. Allerdings fuehrt eine andere Interpretation diese Funde auf ein vor der Bucht gesunkenes Handelsschiff zurueck, von dem allerdings bislang noch keine weiteren Anhaltspunkte existieren. Um 500 n. Chr. ging die Bluetezeit von Tarrha wahrscheinlich wegen dem Rueckgang des Handels und dem Erstarken der Piraterie zu Ende.

In juengerer Zeit wurde Agja Roumeli zu einem einsamen Fischerort, wurde mehrfach von den tuerkischen Besatzern bei ihrem Versuch, in die Schlucht einzudringen, ueberrannt, besetzt und vernichtet, ein tuerkisches Kastell hoch oben ueber dem Meer stammt aus dieser Zeit. Im Zweiten Weltkrieg unterhielten die deutschen Besatzer einen maritimen Stuetzpunkt, zuvor wurde allerdings noch unter dem Schutz der Alliierten die griechische Regierung und Koenig Georg ueber Omalos und die Samaria-Schlucht kommend von dieser Stelle aus nach Aegypten verschifft.

Wie viele kretische Doerfer und Staedte ist demnach auch Agja Roumeli ein Ort mit jahrtausendealter Geschichte. Goetter und Koenige, Freiheitskaempfer und Besatzer haben sich eingefunden, und Geschaeftskundige, einfache Fischer und kleine Bauern haben ihren Lebensunterhalt erwirtschaftet. Heute gehoert Agja Roumeli - am Nachmittag zumindest - eindeutig den Touristen und jenen Kretern, die den Tourismus als Einkommensquelle fuer sich nutzbar zu machen lernten. Auch kleine Pensionen stehen zur Verfuegung fuer jene, die ueber Nacht bleiben oder aber ihren ganzen Urlaub hier verbringen wollen. Touristische Infrastruktur ist, zumindest was das Angebot an Tavernen und Einkaufsmoeglichkeiten anlangt, ausreichend vorhanden.

Wer sich entschliesst, einige Tage hier zu bleiben, und zudem noch am Wandern Freude hat, kann beispielsweise in der Frueh in die Samaria-Schlucht hineinmarschieren, so weit wie eben das Interesse fuehrt. Um diese Zeit sind noch nicht viele Menschen unterwegs und der morgenfrische Atem der Samaria haucht an des Wanderers Wange. Ein anderer Pfad fuehrt entlang der Kueste in Richtung Osten, nach etwa drei Kilometern erscheint eine winzige Kapelle einige Meter vom Meer entfernt: Es ist Ajos Pavlos, und die Legende berichtet, dass an diesem Kuestenabschnitt der Apostel Paulus auf seinem Weg nach Rom an Land gegangen sei. Ihm zu Ehren wurde die Kapelle, die als Kreuzkuppelkirche konstruiert ist, um das Jahr 1000 n. Chr. vermutlich auf Initiative von Ioannis o Xenos errichtet.

Trotz des touristischen Hochbetriebes in Agja Roumeli am Nachmittag kann der Urlauber hier Ruhe und Erholung finden. Einsame Strandabschnitte gewaehren ungestoertes Badevergnuegen, das Fehlen von Verkehrslaerm und ein traumschoenes Naturpanorama beruhigen Geist und Gefuehl, und wenn die letzte Faehre am Spaetnachmittag mit Touristenscharen die Bucht verlassen hat, wird es still und ruhig in Agja Roumeli und die Stimmen aus der Tiefe der Geschichte, die Gesaenge von Wind und Meer sind wieder deutlicher zu hoeren.


Vassilakis, Antonis: Kreta. Geographie - Geschichte - Museen - Archaeologische Staetten und Monumente. Athen. o.J.
Guanella, Hanni: Kreta. Ein Reisefuehrer. 3. Aufl. Zuerich. 1972.
Galini, Elena: Lebendiges Kreta. Mythos, Geschichte und Gegenwart eines Inselreiches. Efstathiadis Group S.A. 1994.
Die Schlucht von Samaria heute und gestern. Ein vollstaendiger Fuehrer ... Athen. o.J.
Schneider, Lambert: Kreta. Dumont Kunstreisefuehrer. Koeln. 1998.

M.R. Hecht Hopfner. Wien. 2023. Alle Rechte vorbehalten.

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