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ARCHANES Im Weinberg der Goetter
von Margaretha Rebecca Hecht Hopfner |
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Archanes am stlichen Fusse des Berges Jouchtas, etwa 10 Kilometer in suedlicher Richtung vom beruehmten Knossos entfernt ist wie dieses ein Ort mit uralter Geschichte, noch dazu in jener Region Kretas situiert, wo aus Rosaki-Trauben bester kretischer Wein erzeugt wird und koestlichste Dolmades, die jedem Griechenlandfreund wohlbekannten mit Reis gefuellten Weinblaetter, zubereitet werden. Von Heraklion und Knossos kommend fuehrt eine gemuetliche sich durch Weinberge und Olivenhaine schlaengelnde und problemlos zu befahrende Nebenstrasse nach Archanes, vorbei an einer Abzweigung nach Mirtia, dem Geburtsort von Nikos Kazantzakis, Kretas international bekannt gewordenem Schriftsteller, wo ihm zu Ehren ein kleines Museum eingerichtet ist. Unweit der Ortseinfahrt von Archanes kann, wer an kretischer Folklore interessiert ist, ein volkskundliches Museum besuchen, das sich in unmittelbarer Naehe zur Strasse befindet.
Ich bin nach Archanes gekommen, um minoischen Hinterlassenschaften begegnen zu koennen, dem Palast, von dem ich noch nicht wusste, wo ich ihn finden koennte, dem Friedhof auf dem Huegel Fourni, und zudem wollte ich mich selber wahrnehmen in unmittelbarer raeumlicher Naehe zum Jouchtas, auf dem sich in minoischer Zeit das Gipfelheiligtum fuer den Himmelsgott - wahrscheinlich Zeus - befand und dessen Reste eine archaeologische Ausgrabung zutage gefoerdert hat, jenes Berges also, in dem dem Mythos zur Folge der nach Kreta zurueckgekehrte Zeus seine letzte Ruhe gefunden hat. Die Silhouette des Jouchtas aus nordwestlicher Richtung betrachtet laesst die Gesichtszuege eines Ruhenden erahnen, und deshalb haben die Kreter diesen Berg den "schlafenden Zeus" genannt. Und nicht zuletzt bin ich auch nach Archanes gekommen, um jenen Ort ein wenig kennen zu lernen, erspueren, in dem ein lieber Freund seine Kindheit verbracht hat.
Schon der Name Archanes lenkt den Blick in die Vergangenheit, denn dieser taucht bereits im 5. Jhdt. v. Chr. auf. Sein Wortstamm verweist auf Bezuege zu Wasser, und tatsaechlich liegt Archanes auf Kreta in einer bereits in der Antike sehr wasserreichen Gegend. Dieser Wasserreichtum blieb ueber die Jahrtausende erhalten, sodass bis vor wenigen Jahren Wasser aus Archanes nach Heraklion geleitet wurde. Das heute einige tausend Seelen zaehlende Dorf ist direkt ueber der minoischen Palastanlage errichtet und demonstriert augenfaellig wie an wenigen Stellen Kretas - Kydonia - Chania ist hier ein anderes Beispiel - die ungebrochene ueber zahlreiche historische Epochen sich erstreckende menschliche Siedlungskontinuitaet. Diese Tatsache ist allerdings auch dafuer verantwortlich, dass von der minoischen Siedlungsanlage nur Teile archaeologisch erschlossen werden konnten. Leider war mir nicht vergoennt, diese waehrend meines kurzen Aufenthaltes zu besichtigen, weil dieses Gelaende bislang nicht ueber einen geregelten Besuchsbetrieb der Oeffentlichkeit zugaenglich gemacht wurde.
"Archanes, das in den letzten Jahren als eine archaeologische Staette ersten Ranges bekannt wurde, hat alle Stufen der praehistorischen sowie der historischen Zeit durchlaufen. Die Zeitdauer, in der sowohl die Wohn- und Kult-, als auch die Grabbauten genutzt wurden, macht diese Staette zu einem Ganzen, in dem sich durch die verschiedenen Perioden hindurch alle Formen und Aktivitaeten eines der wahrscheinlich wichtigsten Gemeinwesen der Insel - mit Zentrum und Umgebung - verfolgen lassen. (J. u. E. Sakellarakis)
Bereits Sir Arthur Evans, dessen Name untrennbar mit der Ausgrabung von Knossos verbunden ist, hat archaeologische Hinweise entdeckt, die auf das Vorhandensein einer groesseren minoischen Siedlung in Archanes schlieieen liess, systematisch archaeologisch erschlossen wurde die minoische Palast- und Siedlungsanlage und die zu ihr gehoerige auf dem zwischen Archanes und dem Berg Jouchtas gebetteten Huegel Fourni gelegene Nekropole vom Archaeologenehepaar Jannis und Eli Sakellarakis in den 60er Jahren des 20. Jh. Jannis Sakellarakis war es schliesslich auch, der jenen minoischen Fund in Anemospilia unweit von Fourni aufspuerte, der ihn weltberuehmt machen sollte: Er entdeckte zum ersten Mal einen Beweis fuer ein kultisch vollzogenes Menschenopfer in minoischer Zeit. Ein aeusserstes Opfer war es, das als allerletztes Mittel dazu angetan sein sollte, die Goetter, gnaedig zu stimmen und die Menschen Kretas vor den verheerenden Folgen katastrophaler Erdbeben zu bewahren. Umsonst, denn offenbar bebte die Erde gerade zur Zeit der Kulthandlung so stark, dass der Tempel einstuerzte und Opfer und Priester waehrenddessen unter sich begrub. Gerne wollte ich das Archaeologische Museum in Archanes besuchen, vor allem um die Dokumentation der Forschungsgeschichte des Menschenopfers von Anemospilia kennen zu lernen, jedoch zum meinem grossen Leidwesen an einem Dienstag, den ich mir als Tag fuer diesen Ausflug ausgesucht hatte: Tuesday closed!
Zur Nekropole in Fourni gelangte ich mit dem Auto am fruehen Nachmittag und gerade noch rechtzeitig, denn das Gelaende, welches kostenlos besichtigt werden kann, ist nur bis 15.00 Uhr zugaenglich. ueber 1500 Jahre lang wurde diese Graeberanlage kultisch genutzt, die aeltesten Teile stammen aus der zweiten Haelfte des 3. Jahrtausends vor Christi Geburt. Einen tiefen Eindruck machte auf mich das aus der Spaetzeit der Nekropole stammende geraeumige Kuppelgrab, von dem auf Grund der Grabfunde angenommen wird, dass es einer gesellschaftlich hoechstrangigen Person - einer Koenigin, einer Priesterin oder einer Adeligen - gehoert haben muss. Auf mich wirken diese minoischen und mykenischen Grabanlagen mit ihren Zugangsschaechten (Einzahl: Dromos), ihren Erdkammern und ueberkuppelten Grabkammern wie der jeweils aus der Erde - der grossen Mutter selbst - herausgearbeitete und von der Natur unmittelbar fuer die Geburt vorgesehene Koerperteil der Frau: Der fuer die Wiedergeburt praeparierte Verstorbene - die Toten wurden in den Sarkophagen (Larnakes) in der Regel in Embryonalstellung beigesetzt - tritt aus dem Leib der schwangeren und gebaerenden Mutter Erde durch die Geburtsoeffnung in sein neues Leben ein.
Mein Verweilen in Archanes, diesem der ganzen Tiefe, Weite und Suesse des allwaehrenden Lebens zugewandten Bezirk am Fuss des heiligen Berges hat mich also reich beschenkt, wenn ich auch nicht alles zu sehen bekam, was ich mir urspruenglich fuer eine Besichtigung vorgenommen hatte. Dies allerdings werte ich als stille Aufforderung an mich, wieder hierher zurueckzukehren! Ein wenig bin ich durch die engen, schweigsamen Gassen des Dorfes mit seinen anmutig in zarte Farben gekleideten Haeusern gestreift und habe das voellige Fehlen touristischen Rummels genossen. Ich stellte mir bei jeden Schritt vor, dass unter meinen Fuessen minoische und in weiterer Folge ueber Jahrhunderte und Jahrtausende sich hinziehende menschliche Geschichte ruht und gleichzeitig gegenwaertig ist, dass ich auf uraltem historischem Boden stehe und gehe. Und ich versuchte, eine Ahnung davon zu erhaschen, wie es sich wohl auf das Bewusstsein, die gesamtpersonale Verfasstheit von Menschen auswirken mag, die hier aufwachsen und leben, in die die Kraft von Jahrtausenden einstroemt wie das Blut aus den Weinbergen der Goetter ...
Folgenden Werken habe ich wichtige Hinweise fuer diesen Text entnommen:
M.R. Hecht Hopfner, Wien, 2023, Alle Rechte vorbehalten. |
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