Knossos

und das Archaeologische Museum in Heraklion

Das minoische Kreta

von Margaretha Rebecca Hecht Hopfner

Das Archaeologische Museum in Heraklion - Fotoalbum
Archaeologische Museen auf Kreta - Fotoalbum
Archaeologische Ausgrabungen auf Kreta - Fotoalbum

Bevor ich zum ersten Mal nach Kreta reiste, ist mir ein Spruch zugetragen worden, der ungefaehr so lautete: Wer Kreta betritt, darf es nicht eher wieder verlassen, bevor er nicht Knossos gesehen hat. Ich habe diese Empfehlung beherzigt und - inzwischen mehr als einmal - sowohl Knossos aufgesucht als auch das "dazugehoerige" Archaeologische Museum in Heraklion, in welchem wesentliche Fundstuecke aus Knossos, den weiteren kretischen Palastanlagen sowie zahlreicher ueber die Insel verstreuter Fundstaetten aus minoischer Zeit aufbewahrt und ausgestellt werden.

Die minoische Epoche erstreckte sich ueber einen Zeitraum von 2800 bis 900 v. Chr. und untergliedert sich wiederum in vier zeitliche Abschnitte: die fruehminoische Zeit von 2800 bis 1900 v. Chr., die Erste Palastepoche von 1900 bis 1700 v. Chr., die Zweite Palastepoche von 1700 bis 1400 v. Chr. und die spaetminoische und fruehgeometrische Epoche von 1400 bis 900 v. Chr. Diese Periodisierung wurde von den Archaeologen und Historikern, allen voran von Sir Arthur Evans, anhand der Klassifizierung der Ausgrabungsgegenstaende entwickelt. Es wurden nur wenige schriftliche Quellen gefunden, die differenziertere Rueckschluesse auf die Minoer und ihre Geschichte erlauben wuerden. Zwei Schrifttypen sind uns bekannt geworden, und zwar die aeltere minoische Linear-A-Schrift und die von Mykene kommende Linear-B-Schrift. Waehrend inzwischen letztere entziffert und dadurch lesbar gemacht wurde, liegt die Bedeutung der bei der sogenannten Linear-A-Schrift verwendeten Zeichen noch im Dunkeln.

Die Ursprungslegende der minoischen Kultur ist mit dem sagenhaften Koenig Minos, nach dem sie benannt ist, verknuepft. Minos seinerseits war ein Sohn des Zeus und der schoenen phoenizischen Prinzessin Europa, fuer ihn reklamiert der Mythos goettliche Abkunft. Er war also der "zeusgeborene Koenig" und empfing bei Zusammenkuenften mit seinem Vater im Gebirge die goettlichen Gesetze fuer sein Reich, und hier draengt sich geradezu ein Vergleich mit Moses auf, der laut Ueberlieferung von Gott die Gesetzestafel mit den Zehn Geboten am Sinai erhielt. Im unterirdischen Labyrinth seines Palastes in Knossos - von Daidalos konstruiert und erbaut - wurde der schreckliche Minotaurus, ein Mischwesen aus Mensch und Stier, hervorgegangen aus einer Vereinigung von Minos' Gattin Pasiphae mit einem weissen Stier, gefangen gehalten. Ihm mussten in jaehrlichen Abstaenden athenische Jungfrauen und Juenglinge als Tribut an Minos bis zu dem Zeitpunkt geopfert werden, als der attische Koenigssohn Theseus die Athener vom Blutopfer befreite, indem er den Minotaurus toetete. Mit der Unterstuetzung von Minos' Tochter Ariadne, die sich in ihn verliebte und ihm mithilfe eines Fadens den Weg wies, gelangte Theseus unbeschadet aus dem Labyrinth wieder hinaus.

Die minoische Kultur erstreckte sich vermutlich ueber den gesamten aegaeischen Mittelmeeraum, Kreta war ihr Zentrum. Auch auf der Insel Santorin koennen wir zum Beispiel umfangreiche Ueberreste dieser Kultur besichtigen und studieren. Weil keine Befestigungsanlagen gefunden wurden und kriegerische Darstellungen auf Wandgemaelden und weiteren Artefakten praktisch fehlen, wird davon ausgegangen, dass es sich um eine sehr friedliebende Kultur gehandelt habe, die allerdings nichtsdestoweniger in einem regen politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Austausch mit den sie umgebenden Hochkulturen im nordafrikanischen - Aegypten - und vorderasiatischen Raum - zum Beispiel Syrien - gestanden sei. Kuehne Interpreten gehen mitunter sogar wo weit, diesen grossen minoischen Kulturraum, dessen aelteres Staatswesen aufgrund massiver Ausseneinwirkungen wie Naturkatastrophen, daraus resultierender innerer Desorganisation und Zerstoerung und wohl als Folge von militaerischen Uebergriffen feindlicher Moechte in sich kollabierte, mit dem untergegangenen Atlantis in Verbindung zu bringen.

Die Minoer besassen ein wohlorganisiertes Gemeinwesen und eine differenzierte gesellschaftliche Struktur. Sie verfuegten ueber talentierte Baumeister, Konstrukteure und begnadete Kuenstler, sie bauten mehrstueckige Gebaeude in Mischbauweise aus Holz und Stein, verfuegten ueber weitlaeufige Wasserleitungen und ein Kanalisationssystem, besassen eine grosse Flotte und schmueckten - etwas vereinfacht gesagt - ihre Haeuser und zahlreiche ihrer Gebrauchs- und Kunstgegenstaende mit wunderschoenen Darstellungen von Menschen, Tieren und Pflanzen, fein, zart und freundlich in Form- und Farbgebung. Zentrale religioese Symbole waren der heilige Stier und die Doppelaxt. Die Frau nahm in der Gesellschaft der Minoer - so viel laesst sich ohne Uebertreibung feststellen - eine exponierte Position ein, denn auf Abbildungen sehen wir sie immer wieder dargestellt in wichtigen sozialen Positionen, zum Beispiel als Priesterinnen, und in der Bluete ihrer natuerlichen Anmut und Schoenheit. In diesem Zusammenhang ist auch nicht unwichtig zu wissen, dass auf Kreta jahrtausendelang neben anderen auch weibliche Gottheiten, darunter - wie in anderen Regionen des vorderen Orients - eine Art Grosse Mutter verehrt wurden.

Knossos, neben Malia und Phaistos die groesste der Palastanlagen auf Kreta, wurde am Anfang des 20. Jahrhunderts vom Englaender Sir Arthur Evans entdeckt. Evans taetigte im Zuge seiner Ausgrabungen umstrittene "Renovierungsarbeiten", die damals zwar moeglicherweise zum Teil wegen des schlechten baulichen Zustandes der Fundstaette erforderlich und somit gerechtfertigt waren und die unserer Vorstellungsfaehigkeit heute vor Ort an zentralen Stellen wie etwa dem sogenannten Thronsaal auf die Spruenge helfen, die aber in Fachkreisen als zumindest problematisch angesehen werden. Es werden auch Bedeutungszuordnungen, die Evans Raeumlichkeiten und Gegenstaenden gab, angezweifelt, da sie eher seinen spontanen Assoziationen entsprungen denn auf der Grundlage systematischer Analyse entwickelt worden sein duerften. Das historische Verdienst von Sir Arthur Evans soll damit keinesfalls geschmaelert werden, allerdings hat sich auch die Perspektive der Wissenschaft, haben sich ihre Arbeitsmethoden und Interpretationsverfahren im Lauf der letzten Jahrzehnte veraendert, und so praesentieren sich eben Vorgehensweisen aus vorangegangenen Zeiten in einem anderen Licht. Zudem sei an dieser Stelle erwaehnt - zumindest habe ich davon gehoert -, dass mittlerweile auch eine Diskussion darueber stattfand bzw. stattfindet, ob Knossos nicht ueberhaupt eine riesige Nekropole, also eine Wohnstatt fuer die Toten war, vergleichbar den aegyptischen Nekropolen, und der gesamte bauliche und kommunale Aufwand einem ueberdimensionierten Totenkult diente. Dann haette wohl der Koenig und seine Gefolgschaft einen anderen Wohnsitz besessen, waere das Verwaltungszentrum des Gemeinwesens andernorts zu vermuten.

In Knossos wurden mehrer Phasen baulicher Taetigkeit realisiert. So datieren die aeltesten Funde menschlicher Zivilisation hier gar in die Zeit des Neolithikums, also bis in eine Zeit um 5700 v. Chr. Um ca. 1900 v. Chr. entstand auf dem Gelaende einer aelteren Siedlung die erste grosse Palastanlage, die um 1700 vermutlich von einem grossen Erdbeben stark zerstoert wurde. Danach bauten die Minoer einen neuen Palast, und auch dieser wurde nach etwa zweihundertfuenfzig Jahren des Bestehens um ca. 1450 v. Chr. wiederum durch Erdbeben zerstoert. Heute befindet sich Knossos etwa vier Kilometer suedoestlich von Heraklion und vom Meer entfernt, zur damaligen Zeit lag es wegen eines anderen Kuestenverlaufs vermutlich direkt am Meer. Was wir dort zu sehen bekommen ist ein riesiges Gelaende, auf dem sich die Ueberreste der weitverzweigten mehrstoeckigen Palastanlage befinden. Ohne qualifizierte Begleitung ist aber schwer zu erkennen, was davon wirklich noch im Original vorhanden und was Ergebnis von Rekonstruktion ist. So empfiehlt es sich tatsaechlich, an einer Fuehrung durch das Gelaende teilzunehmen.

Zahlreiche Fundstuecke von Knossos, aber auch solche aus ganz Kreta sind im Archaeologischen Museum in Heraklion ausgestellt. Dazu zaehlen neben Wandmalereien - darunter das beruehmte Delphinfresko - auch bemalte Sarkopharge, Schmuckstuecke - wie beispielsweise die Goldenen Bienen - und Gebrauchsgegenstaende des taeglichen Lebens, aber auch Abbildungen von uralten - oftmals weiblichen - Gottheiten und der beruehmte Diskos von Phaistos, dessen Bedeutung und Funktion immer noch nicht entschluesselt wurde. Wer zuvor Knossos gesehen hat, kann sich beim Besuch dieses Museums noch wesentlich besser in der minoischen Welt orientieren, ueber die wir zwar gut jedoch bei weitem nicht allumfassend Bescheid wissen. Die Kreter sind besonders stolz auf dieses ihr kulturelles Erbe, entsprechend sorgsam hueten sie diesen Schatz und erlauben nicht, so viel ich weiss, die Fundgegenstaende ins Ausland zu verbringen. Wer diese Kunstschaetze sehen will, muss schon nach Kreta kommen und sie dort ansehen.

Die Begegnung mit dem minoischen Kreta, das uns ja in Form von Ausgrabungen auf der ganzen Insel und weiteren wertvollen Museen wie beispielsweise die von Rethymnon und Chania begegnet - gehoert zu jenen Erfahrungen, die mir Kreta so kostbar gemacht haben. Ich fuehle mich unwiderstehlich angezogen von dieser Welt, erlebe beim Anblick einzelner Gemaelde und Gegenstaende, wie etwa der Damenportraets oder der verzierten Tongueter ihre Lebendigkeit und "Gegenwart", denke mir mitunter gar, das koennte in heutiger Zeit angefertigt worden sein. Es ist fuer mich auch ein Ort der Erinnerung, dass die Frau eine dem Mann ebenbuertige Position in der Gesellschaft innehatte, in der sie ihre ureigenste Wuerde besass. Vielleicht erklaert auch diese bedeutende gesellschaftliche Rolle der Frau die weiche, feine, ja zaertliche Linienfuehrung und Farbgebung im Bereich der kuenstlerischen Darstellungen, ich empfinde es jedenfalls so. Und natuerlich empfinde ich auch den auf diesem speziellen Hintergrund krassen Gegensatz zum streng patriarchalischen Kreta der juengeren Zeit, aber gerade diese Antipoden sind es, die ganz Kreta durchziehen und beherrschen, in der Landschaft, im Klima, der Psyche der Menschen, ihrer Geschichte und Kultur, und sie sind es wohl, die uns einfach immer aufs Neue fasziniert staunen und staunen lassen ...

Wesentliche Informationen habe ich folgenden Werken entnommen:
Vassilakis, Antonis: Minoisches Kreta. Vom Mythos zur Geschichte. Athen. 1999.
Vassilakis, Antonis: Knossos. Mythologie - Geschichte. Fuehrer durch die archaeologische Ausgrabungsstaette.


M.R. Hecht Hopfner. Wien. 2025. Alle Rechte vorbehalten.

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