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Margaretha Rebecca Hecht Hopfner
Das Vernichtungs- und Konzentrationslager Auschwitz
Einleitende Bemerkung: Der folgende Text ist wie die Texte Kann man um Auschwitz trauern, Trauern und "Dem Muselmann im Wesentlichen in den Jahren 1986 bis 1990 sowie meine Dissertation/Universitaet Wien 1993 unter dem Eindruck Hunderter Gespraeche, die ich mit Auschwitz-Ueberlebenden gefuehrt habe und von denen zahlreiche als Tondokumente aufgezeichnet wurden, sowie meiner mehrfachen Besuche der Gedenkstaette Auschwitz-Birkenau (Oswiecim-Brzezinka) in Polen entstanden. Er stellt wie die anderen Texte auch ein Konzentrat eines wesentlich groesseren Textkonvolutes dar, welches im Zuge meiner Arbeit am Thema Auschwitz von mir erstellt wurde, und zeigt auf, mit welcher Wucht eine ungeheure Flut an Gedanken und Emotionen auf mich waehrend dieser Jahre der Arbeit am Thema einstuerzte. Bewusst habe ich da textuell integriert und auf eine streng wissenschaftliche Darstellungsform verzichtet, denn ich konnte und wollte nicht mehr alle meine Gedanken zum Thema in wissenschaftlich aufbereiteter Weise zum Ausdruck bringen. Moeglicherweise bzw. mit Sicherheit sind manche der im gegenstaendlichen Text getroffene Aussagen nicht mehr auf dem neuesten Stand der Diskussion, mittlerweile liegt die Entstehungszeit Jahrzehnte zurueck und es war mir aus mehreren Gruenden nicht moeglich, die Literatur und den wissenschaftlichen Diskussionsprozess zum Thema systematisch zu verfolgen. Moeglicherweise auch sind daraus entstandene Irrtuemer enthalten. Dennoch: Dieser und die anderen zuvor erwaehnten Texte enthalten in Grundzuegen, so wie sie damals grossteils entstanden sind, beinah alles, was ich zum Thema Auschwitz nach wie vor zu sagen habe und auch mitteilen will .
Literaturempfehlungen
Der Abfolge der Zeitalter in den alteuropaeischen Mythen muesste, um das heutige, gerade voranschreitende in den Menschheits-Kanon einzureihen, das Zeitalter der Vernichtung angegliedert werden. Das Zeitalter der universalen Zerstoerung des Lebens auf unserem Planeten ... das Zeitalter von Auschwitz. Und wuerde dementsprechend die Heilige Schrift um ein Buch erweitert, sollte es das "Buch Auschwitz" genannt werden. Auschwitz, die "Heilige Schrift" des Industriezeitalters. Auschwitz war ein deutsches Konzentrationslager und nicht die Hoelle, darauf machte uns Martin Walser aufmerksam. Zugleich aber ist Auschwitz eine Zaesur in der Menschheitsgeschichte, ist Fokus und epochaler Schmelztiegel. Auschwitz, mit negativen Vorzeichen durchaus ein "Weltwunder" insofern, als das Unvorstellbare, Unglaubliche, nie Geglaubte, bis zum heutigen Tage immer wieder Verleugnete, Wirklichkeit geworden ist. Historisch menschliche Wirklichkeit, geronnen in nicht ganz fuenf Jahren, auf einem "Interessensgebiet" von ca. 40 qm2, geronnen im Europa des 20. Jahrhunderts. Einem Europa, das nicht muede wurde und wird, sich der so genannten "Zivilisation" zu ruehmen. So ist es an der Zeit - und wie lange schon, wie oft ist Zeit den Menschen zum Verhaengnis geworden, vielleicht aber gerade deswegen ist es an der Zeit, noch einmal, vielleicht ein allerletztes Mal, von "letzten Dingen" zu sprechen ... von Liebe, Schmerz, Hoffnung, Verzweiflung, Geburt, Mord und Zerstoerung, Ueberleben und Tod. Wir leben ebenso in einem Zeitalter, in dem schier alles moeglich geworden ist, oder im Begriffe ist, vom Menschen "machbar" und somit menschenmoeglich zu werden. Es gibt keine starren Grenzen mehr; weder in der Moral, noch in der Wissenschaft. Bereits zum "Schoepfer" des Menschen hat sich der Mensch gemacht. Und wann in der Vergangenheit war der Gebrauch von Macht und Wissen derart universell manipulierbar und somit sein Missbrauch in Natur und Umwelt, der Uebergriff in "heiligste" Bezirke menschlichen Daseins potenziell zerstoererischer. Unser so weit fortgeschrittenes Wissen - regiert von schier grenzenloser Dummheit. Subjektive Unsicherheit und Ueberblickslosigkeit, Brutalitaet, Chaos und zugleich die allgewaltige Gegenwart von so genannten Sachzwaengen, ein jeder ist inzwischen davon betroffen. Auschwitz ist nur ein Vorgeschmack dessen, was mittlerweile bereits sichtbar geworden ist und was uns allen noch bevorsteht: vollstaendige Aufloesung menschlicher Individualitaet zugunsten einer Einheit: messbar, zuechtbar, programmierbar, kalkulierbar wie Maschinen; Menschen ohne Kindheit und Zuhause, ohne Vergangenheit und Zukunft; Vernichtung des Lebens auf allen Ebenen, ja, sogar die Vernichtung unseres Planeten. Es soll gar nicht verschwiegen werden: Ich bin ueberzeugt davon, dass die Vorbereitungen fuer eine neue, in ihren Ausmassen die nationalsozialistische bei weitem ueberragende, "Endloesung" bereits getroffen sind. Und wir alle rennen unserem Unglueck offenen Auges in die moerderischen Arme. "Laerm" (Franz Kafka) uebertoent das Schreien und Stoehnen der Sterbenden. Wenn ich Nachrichten hoere, Zeitungen aufschlage und mir ein eintoeniges Gemenge von Graeueln und Glueck den Atem verschlaegt, steigt da schon noch gelegentlich Angst auf in mir, jeden Gedanken truebende und jedes Gefuehl erwuergende Angst. Und ich moechte dann meine laehmende Verzweiflung jenen tuechtigen Geisteskranken, die unsere gesamte Erdkugel im Begriffe sind, zu verwuesten, ins Gesicht schreien, ihnen meine Verachtung vor die Fuesse werfen, wohl bedenkend allerdings, dass ihnen kein Licht darueber aufgeht, sie ungeruehrt und unbeirrt den Gesetzen von Gier und Machtlust gehorchen, mit genauem Kalkuel und logischer Konsequenz. Jene Damen und Herren, sie koennen ganz ruhig bleiben. Wir kennen unser Ende schon, denn es wurde uns ja beigebracht, kleinweise, wurde und wird, mit Mass das Unmass breitgetreten. Wir alle haben uns an die Ungeheuerlichkeiten gewoehnt, ziehen das Ende in Erwaegung, ziehen ueberhaupt alles in Erwaegung, schlagen aber dann die Zeitungen zu, drehen Radio und Fernseher leiser und legen unsere wirren Bedenken fuers Erste einmal beiseite. Und heute weiss ich, es steckt wohl auch unser eigener Ueberlebenswille hinter solchem Denken und dem daraus resultierenden Handeln. Wir sind eben unempfindlich geworden gegenueber den Verbrechen, auch wollen wir sie nicht mehr sehen, die vielen traurigen, bittenden Augen, die verbitterten Muender, die gebeugten Gestalten. Immer wieder und wieder lassen wir unsere Sensationsgier anstacheln durch Horrormeldungen. Eingestimmt auf Katastrophen, wurmen wir unseren Tagesgeschaeften nach, jagen nach Zweifelhaftem und saufen der Wahrheit die scharfen Kanten ab. In der Nacht verkatert die Menschheit. Wenn einer abgestochen wird, ein Mensch im Strassengraben verendet, wenn ein politischer Skandal ueber die Buehne geht, die Luft vor Dreck starrt und Loecher bekommt, wenn Weltmeere sich in Kloaken verwandeln oder Atomkraftwerke explodieren, Kriege um alle moeglichen Ressourcen gefuehrt werden, das bemerken wir - vielleicht. Dann aber ist es zu spaet, denn dann sind auch wir "in Auschwitz".Das Vernichtungs- und Konzentrationslager Auschwitz allerdings ist ein klarer Ort. Die Schrecknisse unserer Zeit liegen auf der Hand. Keine Grausamkeit versteckt sich hinter ideologischer Verbraemung. Immer tritt sie als das hervor, was sie ist, naemlich ein Verbrechen des einen Menschen am anderen Menschen. Und gegen den Vernichtungswillen des Menschen musste hier der Mensch mit all seinem Willen zum Leben ankaempfen. Die "Strafkolonie" Kafkas war nicht Produkt einer krankhaften, wirklichkeitsfremden Psyche, im Gegenteil, in Auschwitz hat sich diese "Strafkolonie" in noch viel ungeheuerlicheren Dimensionen als "wahr" enthuellt, und seit Auschwitz ist es ein offenes Geheimnis: Dem heutigen Menschen wird "der Prozess" gemacht. Auschwitz war aber nicht Gottesgericht, es war apokalyptisches Menschengericht. Quaelen, Morden, aber auch Sterben sind hier zu alltaeglichen, massenhaften, routinierten und deshalb - vom Opfer abgesehen – weitgehend emotionslosen Vorgaengen geworden. Nirgendwo sonst tritt der allgegenwaertige Tod deutlicher, bedraengender und bezwingender vor unsere Augen, war Leben in den allermeisten seiner Aspekte nur noch Sterben. Und vielleicht deshalb zeigte sich gerade hier der Wille zum Leben vehement, mit geradezu brutaler Intensitaet. "Es ist, als schriee der Menschheit ganzer Jammer aus Auschwitz." (Eine Ueberlebende) Hoeren wir es denn nicht aus den Brandgruben und Krematoriumsruinen immer noch wimmern und steigt mittlerweile nicht auch all unsere Verzweiflung, all unsere Hoffnung in einen rauchschwadenverhangenen "Auschwitzer Himmel"? Immer noch leben wir im Schatten des Kamins. Auch wir atmen den Brandgeruch verrauchender Menschenleiber, hoeren und ueberhoeren die Schreie der Gefolterten, ... und uebersaettigen uns auf Kosten der Muselmaenner und -frauen. Die Transporte in die Vernichtung ... sie rollen weiter!Die gesamte Industriekultur scheint mir mitunter in ihren Wurzeln und bis hinein in die Veraestelungen von einem universalen Verbrechen durchdrungen, vergewaltigt, versklavt, funktionalisiert ihre Rationalitaet uns Menschen, Tiere, Pflanzen, ja den gesamten Planeten Erde in allen Lebenszusammenhaengen und zerstoert uns alle gerade dadurch. Auschwitz zeigt uns meinem Empfinden und Denken nach lediglich, wie diese Industriekultur in ihren Grundstrukturen beschaffen ist, wie ihr Funktionieren bewerkstelligt wird, und wohin uns ihr Fortgang allem Anschein nach fuehren wird. Es enthuellt sich hier vor uns der gesamte todbringende Apparat. In Auschwitz ist alles evident, schamlos offen. Wir erkennen die Wahrheit ueber die Gesellschaft, in der wir leben, die Wahrheit ueber uns selbst. Auf diese Weise sind wir in Auschwitz enthalten und ist Auschwitz in uns und in den kommenden Lebensgenerationen enthalten. Heute ohne das Bewusstsein von Auschwitz zu sein, hiesse, ohne Geschichte zu sein. Und niemals sollte es uns demnach darum gehen, Auschwitz von der Hand zu weisen, uns davon zu distanzieren und es zu den uebrigen Akten der Geschichte zurueckzulegen. Immer wieder wollen wir jenen weltgeschichtlichen Vorgang, der in und um Auschwitz raumzeitlich kulminierte, in die Naehe zurueckzuholen und uns fragen, welche Schluesse, welche Konsequenzen wir aus seinen "Lehren" zu ziehen haben. Und einzig an uns ist es, dies zu tun! Um eine Krankheit heilen zu koennen, brauchen wir eine genaue Vorstellung darueber, wie sie entstanden ist. Ihr gegenwaertiges Zustandsbild muss erkannt, die Anamnese erhoben und die Symptome beschrieben werden. Wir sind an Auschwitz erkrankt, lange schon, bevor es Auschwitz gegeben hat. Und weiter tragen wir an dieser Krankheit, der "Krankheit unserer Zeit", und das "Virus Verbrechen" ist nicht am 27. Jaenner 1945 aus der Welt verschwunden. "Die Pest" ist inzwischen ueber uns alle gekommen und "rafft uns hinweg" (Ingeborg Bachmann). Auschwitz laesst uns die "Krankheit unserer Zeit" bis ins Detail hinein erkennen. Und somit gilt es, Auschwitz in den Strukturen seines Zustandekommens und Funktionierens aufzuzeigen, die Strukturen seines Systems zu erhellen, aber auch jene menschlichen Verhaltensweisen auszuleuchten, die innerhalb dieser Rahmenbedingungen zutage getreten sind. Dann gilt es, diese Erkenntnisse in Beziehung zu setzen zu den Gegebenheiten unserer heutigen Welt, unserer "Normalitaet", und dies auf allen Ebenen unseres Daseins. Es scheint mir geradezu geboten, die gegenseitigen phaenomenologischen, strukturellen und funktionellen Gleichheiten, Aehnlichkeiten, aber selbstverstaendlich auch Unterschiede herauszuarbeiten. Man kann gar nicht oft genug die Wichtigkeit unterstreichen, gerade diese Verbindungen herzustellen, damit es immer schwerer wird, Auschwitz von der Hand zu weisen. Heute muessen wir uns mit Auschwitz ohne jeden Rueckhalt, ohne jeden Vorbehalt auseinander setzen, wir kommen nicht umhin, uns seiner -trauernd - zu erinnern. Das Phaenomenale an Auschwitz ist, dass es nicht zu verheimlichen war, dass fundamentalste menschliche Verhaltensweisen unausloeschbar sichtbar geworden sind. Wir vermoegen dem "Taeter" direkt ins Auge zu sehen, aber auch die Perspektiven des "Opfers" treten ueberdeutlich hervor. Es ist nunmehr unmoeglich, darueber hinwegzusehen, wozu Menschen faehig sind, insbesondere im Boesen. Und jeder Versuch, sich mithilfe eines gedanklichen Ablenkungsmanoevers ueber die wahren Auschwitzer Sachverhalte hinwegzusetzen, bricht sich in seinem schonungslosen Spiegel. Jeder Versuch zu taeuschen, zu beschoenigen, zu verschleiern, wird gnadenlos beantwortet mit zahllosen Enttaeuschungen, mit Emanationen von Haesslichkeit und mit den schamlosesten, letzten Enthuellungen ueber den Menschen. Es hat seine Richtigkeit: In Auschwitz hat der Mensch den Menschen auf sein Menschsein "gekreuzigt". (Im antiken Imperium Romanum war Kreuzigung eine massenhaft vollzogene in besonderem Mass fuer die betroffene Person entehrende und entwuerdigende sich in der Regel ueber mehrere Tage hinziehende Folter-Hinrichtungsmethode.) Nun sind wir es, die vor die Notwendigkeit gestellt sind, "das Boese" und seine Wirkungsweisen zu erkennen. Wir haben die schaurige Pflicht, "den Teufel an die Wand zu malen", um ein fuer alle Mal eine Vorstellung von ihm zu bekommen. Ja, wir muessen seine Grauen erregende Niedertracht und Brutalitaet einem liebenden Verstehen zufuehren, um ihm gerade auf diese Weise den Stachel zu ziehen. Und etwas ist mir wichtig, in diesem Zusammenhang festzuhalten: die entsetzlichste Wahrheit zu wissen, ist allemal beruhigender als der noch so betoehrende Wahn, die noch so schmeichelnde Illusion. Wozu Menschen faehig sind, im Guten wie im Boesen, an welche Unmenschlichkeiten sich Menschen gewoehnen koennen, taeglich Brot geworden ist, in der Menschenmassen aufgrund unbarmherziger und wahnwitziger Wirtschaftspolitik an den Rand ihrer Existenz, ja, in ihre Vernichtung geschleudert werden, in der gar die technische Moeglichkeit besteht, die gesamte Erdkugel gleich ein paar Mal in den Kosmos zu jagen. Nie zuvor in der Geschichte war die Existenz fuer die Mehrheit der Menschen erniedrigender und bedrohter zugleich. Immer wieder soll es festgehalten sein: Deshalb brauchen wir eben heute das Wissen um Auschwitz. Wir muessen sagen koennen, wer uns ermordet hat ... wie man gestorben ist ... und wie man das Sterben er- und ueberlebt. Wir erzaehlen dem Leben vom Tod und dem Sterben vom Ueberleben. "Vielleicht ist alles Schreckliche im tiefsten Grunde das Hilflose, das von uns Hilfe will." Weil niemand sich aber des Schrecklichen mehr annehmen will, weil jeder sich von ihm abwendet, ist es das Hilflose, bleibt das Grauenhafte ungehoert und wird allzu rasch und gern abgedraengt in das Vergessen. Dort weilt es dann "im tiefsten Grund" und will von uns jene Hilfe, die es wieder ans Tageslicht unseres Bewusstseins hebt. Wie grauenvoll ist es, was Menschen in der Menschheitsgeschichte bereits erlitten haben, ihnen in Auschwitz an Leid widerfahren ist, und nach wie vor widerfaehrt Menschen Schreckliches durch andere Menschen. Die Schlaechter schlafen nicht, und stuendlich nimmt der Hunger zu. Und es ist mir unbegreiflich, was Menschen dazu bringt, sich auch noch den unwuerdigsten Bedingungen zu unterwerfen, sich einzufinden, abzufinden, und wie sie sich noch unter der staendigen Todesgefahr darin zurechtzufinden vermoegen. Auch in Auschwitz noch. Aber das Leben will leben. Der um sein Ermordetwerden weiss ... in ihm verdichtet sich aller Wille zum Leben. Er will ueberleben, um wieder zu leben, er darf die Hoffnung nicht aufgeben. Wie oft hat sich wohl ein Mensch schon gesagt: "Dies ist mein Leben, mein einziges Leben. Ich liebe mein Leben, und ich will es leben." Und wie wach haelt den Menschen dieser Drang, dieser zwingende Drang, seinem einzigen Leben hier und jetzt nachzugeben, es heute zu erhalten. Wie einfallsreich, mutig, wie aufopferungsvoll, aber auch wie berechnend, verschlagen und brutal wird ein Mensch, wenn es ihm darum geht, dieses sein einziges Leben zu erhalten und der Vernichtung zu entgehen. Und gerade deshalb ist Hoffnung es, die den Menschen wohl beinah jede Form der Prostituierung aufzwingt. Und weil sie ohne ihre Hoffnung nicht zu leben, zu ueberleben vermoegen, sie es ist, welche die ihr so Ausgelieferten in die Vernichtung treibt: "Die Hoffnung ist es, die den Menschen befiehlt, gleichgueltig in die Gaskammer zu gehen; die sie davon abhaelt, Aufruhr zu planen; Hoffnung macht sie tot und stumpf. Hoffnung befiehlt den Muettern, sich von ihren Kindern loszusagen, den Frauen, sich fuer ein Stueck Brot zu verkaufen, den Maennern, Menschen zu toeten. Die Hoffnung treibt sie dazu, um jeden weiteren Tag des Lebens zu kaempfen, weil es gerade der kommende Tag sein koennte, der die Freiheit bringt. Vielleicht nicht einmal die Hoffnung auf eine neue, bessere Welt, sondern nur noch die Sehnsucht nach einem Leben, in dem es wieder Ruhe und Frieden gibt. Noch nie war die Hoffnung staerker als der Mensch, aber noch nie hat sie so viel Boeses heraufbeschworen wie in diesem Krieg, wie in diesem Lager. Man hat uns nicht gelehrt, die Hoffnung aufzugeben, deswegen sterben wir im Gas." (Tadeusz Borowski) Was bleibt uns nun anderes, als Auschwitz zu lieben. Ja, zu lieben! Ansonsten muessen wir tatsaechlich "vor so viel Unmenschlichkeit kapitulieren" (Martin Walser). Aber lieben koennen wir nur das Lebendige, dem Leben dienende, dem Leben zu Leben verhelfende. Nur um des Lebens willen sind wir faehig zu lieben. Wir koennen nicht Grausamkeiten lieben,... das Quaelen, das Morden. Denn Ekel befaellt einen ja zunaechst bei der direkten Konfrontation mit den dominanten Auschwitzer Tatsachen. Es waere geradezu eine Perversion im Fuehlen und Denken, die Behauptung aufzustellen, man liebe die Auschwitzer Grausamkeiten. Diese sollen wir auch gar nicht lieben! Aber ist Liebe denn etwas anderes als Sich-oeffnen, Sich-einfuehlen, Nach-spueren, Nach-denken, Zeit-gewaehren, Mit-leiden? Liebe gewaehrt jeder Vorstellung, auch der des Boesen, freies Geleit durch die Trauer. Nur auf diese Weise vermoegen wir Auschwitz zu lieben! Indem wir um Auschwitz trauern! Umso mehr wollen wir Auschwitz lieben, umso tiefer in seine Wahrheit eindringen, sie hervortreten und zum Ausdruck gelangen lassen, als man heute bereits dabei ist, sich auch an Auschwitz zu gewoehnen. In gewisser Weise wurde und wird Auschwitz salonfaehig gemacht, so wie dies ja auch geschieht mit Nachrichten ueber Kriege, Katastrophen und Hungersnoete und mit Schrecken jeglicher Art. Ja, man bekommt sogar 1. Preise fuer die besten Bilder, die treffendsten Berichte, welche Elend und Sterben von Menschen dem zivilisierten Auge gerecht servieren. Vor keiner Pietaetlosigkeit mehr schreckt unsere Eitelkeit zurueck! Welche Motive auch immer zugrunde liegen, es ist in jedem Falle hoechst bedenklich, sich auf der Grundlage der Leiderfahrung anderer Menschen einen Namen zu machen: "Wer der Gerechtigkeit dient , darf nichts von alledem. Sie verlangt aeusserste Zurueckhaltung und den Abbruch aller Beziehungen zur Oeffentlichkeit, sie erlaubt gerade noch die Trauer, aber nicht einmal den Zorn, und sie diktiert schliesslich strengste Enthaltsamkeit gegenueber allen Verlockungen, sich durch Scheinwerfer, Kameras und Mikrophone ins Rampenlicht zu spielen." (Hannah Ahrendt) Haben wir uns nicht, weil wir gerade diese Grundsaetze in Permanenz verletzt haben und verletzen, weil wir inzwischen ja regelrecht ueberfuettert werden mit Greueln jeglicher Art, gewoehnt an all die Bestialitaeten, und sind diese etwa nicht im Begriffe, nachgerade zu Normen gemacht zu werden? Und noch etwas scheint mir hier von Bedeutung zu sein. Ich moechte es einmal so sagen: Niemand hat das Recht, Auschwitz zu ideologisieren. Menschen verschiedener ethnischer, religioeser und politischer Zugehoerigkeit wurden nach Auschwitz gebracht, dort ermordet, gequaelt und haben um ihr Ueberleben gekaempft. Menschen aus ueber dreissig Nationen, Menschen aller Altersstufen. "Auf das Opfer kann keiner sich berufen. Es ist Missbrauch. Kein Land, keine Gruppe, keine Idee. (...) Weil der geopferte Mensch nichts ergibt." (Ingeborg Bachmann) Die Begriffe "Opfer", "Opferung" wecken in unserem Kulturkreis ja die ambivalentesten Assoziationen, deren eine allemal die zustimmende ist, weil, wie das in den meisten Religionen der Fall ist, auch unsere christliche Tradition diese Haltung rituell konserviert hat. Der Begriff des "Opfers" rueckt das "Opfer" bei diesem gedanklichen Vollzug in eine bedenkliche ideelle Naehe der Akzeptanz mit jenem, der die "Opferung" verlangt. Und gerade das wollen wir doch besonders im Falle der sogenannten "Opfer des Nationalsozialismus" vermeiden. "Geopfert" hat der Nationalsozialismus alles, was seinem normativen Diktat zuwiderlief, unter Zuhilfenahme einer modifizierten industriellen Praxis, welche nicht mehr im entferntesten an sonstige, religioes motivierte Opfervorgaenge erinnert. Im Gegenteil! In Auschwitz wurde nicht geopfert, sondern vernichtet, es wurden keine Altaere errichtet, sondern die Gaskammern vollgestopft. Es wurde nicht zelebriert, sondern zuegig getoetet. Welche Bedeutung haben Orte fuer uns Menschen. Warum ziehen uns Orte wie Auschwitz so sehr an? Was wollen wir eigentlich, wenn wir historische Orte aufsuchen, und was koennen wir dort lernen? Oder ist es zunaechst nur der direkt erfahrbare sinnliche Eindruck, der uns hintreibt und dort festhaelt? Auschwitz muss erhalten werden! Wir alle haben dafuer Sorge zu tragen, dass dieser Ort sichtbar bleibt, so wie er war. In der ganzheitlichen raeumlichen Ausdehnung von Birkenau beispielsweise. Wie leicht koennte man das von Auschwitz noch Erhaltene dem Erdboden gleichmachen. Gibt es etwa nicht bereits Stimmen, die sich gerade dafuer stark machen, den Ort auch physisch aus der Geschichte zu loeschen? Nicht um die den Jahrtausenden standhaltende Bausubstanz alt-aegyptischer Pyramiden handelt es sich in bei den allermeisten Gebaeuden in Birkenau, sondern um Bretterbuden, die man von heute auf morgen aufgestellt hat, um sie genauso rasant wieder entfernen zu koennen. Und gerade die Spannung zwischen der menschheitsgeschichtlichen Bedeutung der Baulichkeiten und ihrer materiellen Fragilitaet legt uns eine noch dringlichere Verantwortung fuer ihre permanente Restaurierung auf. Weil Auschwitz sich zu einem die Menschheitsgeschichte markierenden Punkt verdichtet hat, muessen wir es als Ort erhalten, Laenge mal Breite und alle darin noch erhaltenen und enthaltenen Tatsachen. Und gerade hier, wo der Mensch in das jedwede "Nichts", in den Tod hinabgeschlagen worden ist, wo er, so lange er am Leben gelassen wurde, nicht mehr war, als ein Stueck nummeriertes Fleisch, gerade hier steigt der Gedanke an die Auferstehung des Menschen in ein Hier und Heute, an seine Rehabilitation als Mensch, auf. Die Erinnerungen der Uberlebenden ermoeglichen uns, Leid/ensdimensionen auszuloten, von denen wir bislang kaum Begriffe hatten (Martin Walser). Leidensdimensionen je einzelner Menschen, sowie ihre hoechstpersoenlichen Lebens- und Ueberlebensperspektiven. Somit wird jede einzelne Erinnerung fuer uns wichtig, erhaelt groesste Bedeutung, da sie einer jener Mosaiksteine ist, aus denen sich das Universum Auschwitz zusammensetzt, und uns damit zeigt, dass ein Mensch es war, ...ein Mensch..., der gelitten, gehofft, gekaempft und geliebt hat. Auschwitz nun hat stattgefunden innerhalb der Periode nationalsozialistischer Herrschaft im Deutschland des 20. Jahrhunderts und inmitten einer kulturellen Umgebung, die gerne und oftmals fuer sich das Attribut "zivilisiert" in Anspruch nimmt, und der scheinbar diametrale Gegensatz, der "Zivilisationsbruch" (Dan Diner) Auschwitz erschuettert immer wieder diejenigen, die darueber nachdenken. Die nationalsozialistische Ideologie und Praxis wurzelt aber, um es knapp und dementsprechend provokant zu formulieren, in wesentlichen Straengen der abendlaendischen Kulturtradition, ist ohne diesen Hintergrund gar nicht zu denken: ein bis auf Newton zurueckreichendes mechanistisches Weltbild, welches in der Folge rigoros auf die Erfassung und Interpretation von Mensch, Tier und Natur angewendet wurde, und in welchem man lebendige Geschoepfe lediglich als hochkomplizierte (heute: algorithmengesteuerte) biologische Maschinen dachte und denkt; international am weitesten fortgeschrittene Entwicklungen in den Naturwissenschaften, insbesondere in Medizin und Biologie; eine darwinistische Evolutionstheorie, die dem jeweils Staerkeren im Ueberlebenskampf Lebensrecht zusprach, in der Folge interpretativ uebertragen auf Bewegungsablaeufe und Entwicklungsgesetze menschlicher Gesellschaften; Vorurteils- und Herrschaftstraditionen gegenueber ethnischen Minderheiten, insbesondere gegenueber Juden und Zigeunern, die mitunter Jahrtausende zurueckreichen; ebenso weit zurueckreichende Traditionen oekonomischer, sozialer, politischer und kultureller Versklavung ganzer Bevoelkerungsteile und sogar Kontinente. Auf diesen nur in den allergroebsten Zuegen charakterisierten Grundlagen entwickelte der Nationalsozialismus sein den aktuellen Entwicklungen in Politik, Gesellschaft Wissenschaft, Technik und Wirtschaft entsprechendes neuartiges Herrschaftsmodell, fundierte er sein Paradigma nach biologistisch-medizinischen Kriterien, und weil es nun einmal um konkret deutsche Interessen ging, wurde eine sogenannte "arische Rasse" kreiert und diese der Einfachheit halber als die allein herrschaftstraechtige und herrschaftswuerdige in der ganzen Welt postuliert. Nationalsozialistische Verfolgung ist eine spezifische Form sozialer Ausgrenzungsstrategie innerhalb einer modernen Industriegesellschaft. Ausgegrenzt aus der als "normal" erklaerten Sozietaet werden all jene Elemente, die sich ihrem normativen Diktat widersetzen, beziehungsweise diesem per definitionem nicht entsprechen, beziehungsweise niemals entsprechen, d.h. wieder in ihre "Normalitaet" integrierbar sein wuerden. Hierher gehoeren der politische Gegner, der strafrechtlich "Kriminelle", der fuer "arbeitsscheu" gehalten zum "Asozialen" Gestempelte, der "Psychopath", der "Idiot", der fuer den Arbeitsprozess "unbrauchbar" gewordene "Alte", der "unheilbar Kranke", der in seinem sexuellen Verhalten von der Norm Abweichende, der religioese "Sektierer". Hierher gehoeren aber innerhalb nationalsozialistischer Ideologie insbesondere Juden, Zigeuner und Slawen, die schlichtweg - eben aus ethnischen, sogenannt "rassischen" Gruenden - rein physisch fuer schlichtweg unintegrierbar in das biologistisch-medizinische Paradigma des nationalsozialistischen Weltbildes gehalten wurden. Aehnlich gnadenlose Kriterien, was in der Folge nicht mehr und nicht weniger als Ermordung bedeutete, wurde auf den "unheilbar" kranken Menschen angewendet, dessen physische und soziale Existenz ebenfalls schlichtweg zum "Unwert" deklariert wurde. Die als "Euthanasie" und "Genocid" in die Geschichte des Nationalsozialismus und der Menschheit eingegangenen staatlich sanktionierten Massenmordaktionen waren also keineswegs "irrationale" Aktionen, sondern wir haben es mit der stringent entwickelten und konsequent angewendeten, erschreckenden Zwangslogik jenes hier nur in den groebsten Zuegen charakterisierten und nun schon wiederholt erwaehnten Weltbildes zu tun. Auf der einen Seite galt es, "Herrenmenschen" zu zuechten, "gutes Blut" zu "retten", und auf der anderen Seite musste jenes genetische "Material", welches fuer "wertlos" gehalten wurde, "ausgemerzt" werden. Nicht in diesem Masse toedlich, weil ideologieimmanent nicht entsprechend "erforderlich", wirksam wurde das physische Vernichtungsdiktat fuer die restlichen aus der nationalsozialistischen "Normalitaet" zu segregeierenden Kategorien von Menschen. Bei der nationalsozialistischen Verfolgung haben wir es demnach mit mehreren Ebenen einer sozialen Segregationspraxis zu tun, deren Gestalt und Wirkungsform von den jeweils in Frage kommenden Wertparadigmen nationalsozialistischer Ideologie bestimmt werden. Jene Mitglieder der Gesellschaft, deren physisch-biologische Gestalt mit der innerhalb der Ideologie als positiv formulierten anzustrebenden Idealen und Zielvorstellungen fuer gaenzlich unvereinbar eingestuft wurden, mussten der bio-medizinischen sowie der industriellen Logik zufolge einfach vernichtet werden, waehrend der "Herrenmensch" gezielt gezuechtet werden sollte. Die Auschwitzer Gaskammern sind das logische Ergebnis dieses Denkmodells und das ebenso logische Pendant zu den Zuechtungsprogrammen, die unter anderem in den Lebensbornheimen verwirklicht wurden, zu den "Germanisierungsprogrammen", die sogar bis nach Auschwitz hineinreichten. Physische Vernichtung innerhalb nationalsozialistischer Ideologie ist so gesehen nicht mehr und nicht weniger denn ihre graduell schaerfste Ausgrenzungsstrategie, die nun bekanntermassen Juden, Zigeuner und Slawen, deren physische Ausrottung laengerfristig geplant war, und sogenanntes "lebensunwertes Leben" am konsequentesten und am umfangreichsten traf. In diesem Bereich kam das biologistische Paradigma, aber ebenso das Paradigma industrieller Rationalitaet zum Tragen. Graduell weniger scharf, das heisst, in vergleichsweise geringerem Umfang mit toedlicher Konsequenz und partiell verbunden mit Vorstellungen der Reintegration in die nationalsozialistische "Normalgesellschaft", traf die Segregationspraxis die uebrigen erwaehnten Kategorien von Menschen, die nicht den nationalsozialistischen Idealen von "Normalitaet" entsprachen. Dem klar differenzierten System der graduell abgestuften verschiedenen Ausgrenzungsstrategien entsprachen wiederum Struktur, Organisation und Funktionalitaet der Konzentrationslager, wohin der von der "Norm" als solcher definierte "Ausschuss" gelangte. Gemaess eben der industriellen Logik wurde er entweder sofort vernichtet, oder zuvor "restverwertet" und erst dann vernichtet, wie im Falle der Juden, Zigeuner, Slawen und jenen, ueber die das Todesurteil verhaengt wurde, oder aber er wurde sogenannter normativer Disziplinierung und gleichzeitig oekonomischer Verwertung zugefuehrt und so wiederum dem nationalsozialistischen Werteparadigma im systemimmanent "positiven" Sinne nutzbar gemacht. Die Intention der quasi energetischen "Restverwertung" biologischen Menschenmaterials im Interesse oekonomischer Zielsetzungen erklaert auch das insbesondere und an erster Stelle fuer Juden gueltige Diktat der "Vernichtung durch Arbeit", Vernichtung durch saemtliche Lebensbedingungen, die ihnen innerhalb des Konzentrationslagers noch bereitgestellt wurden. Konzentrationslager waren unabdingbarer integraler Bestandteil des nationalsozialistischen Herrschaftssystems, ihre Aufgabe bestand darin, bei der Herstellung klar definierter nationalsozialistischer "Normalitaet" behilflich zu sein. Der Nationalsozialismus waehlte den Weg brutalster normativer Disziplinierung, den Weg industrieller Logik, welcher gemaess der als solcher festgestellte menschliche "Ausschuss" oekonomisch verwertet, restverwertet und, wenn dies ideologisch vorprogrammiert war, schliesslich vernichtet werden sollte. Der anonym-industrielle Charakter der nationalsozialistischen Massnahmen zur Durchsetzung der politischen, sozialen und oekonomischen Herrschaftsinteressen im Rahmen der "Endloesung", des "Generalplan Ost" und der "Euthanasie", um nur einige der zentralen Aspekte anzufuehren, geht aus ihrer gesamten Organisation, sowohl die Planung als auch die Durchfuehrung betreffend, hervor. Innerhalb der Realisierung etwa der "Endloesung" erfasste man Juden zuerst statistisch, unterwarf sie der Stigmatisierung durch den Judenstern, um sie in der Oeffentlichkeit sichtbar zu machen und um dadurch einen weiteren wichtigen Schritt ihrer sozialen und kulturellen Segregation zu setzen. Dann beraubte man sie der Grundlagen einer normalen buergerlichen Existenz, indem man sie aus ihren Berufen entfernte und ihre Vermoegen enteignete. Zunaechst bemuehte man sich, Juden ins Ausland abzuschieben. Ein weiterer, Xaeusserst bedeutsamer Schritt in der Segregationspolitik gegenueber Juden bestand in ihrer raeumlichen Konzentration in Ghettos und Sammellagern, um sie im Anschluss daran ihrer Vernichtung zuzufuehren. Insgesamt gesehen war also die "Endloesung" ein mehr oder weniger global angelegtes System, welches eine eigene Dynamik des Funktionierens entwickelte; die einzelnen Elemente dieses Systems standen in permanenter Wechselwirkung. So mussten unter anderem, wenn Zuege zur Abfahrt bereitstanden, fuer eine entsprechende Anzahl von Menschen fuer die Deportation "gesorgt“ sein. Und wenn in den Sammellagern gerade zu wenige davon vorhanden waren, mussten, um die Logik des Systems nicht zu gefaehrden, zusaetzliche Razzien gemacht werden, oder, entgegen anderslautenden Richtlinien, Kinder in Transporte zugegeben werden, wie beispielsweise im Spaetsommer 1942 in Frankreich so geschehen. Menschen, die es eben nichts als zu vernichten galt, spielten in diesem mit organisatorischer Perfektion arbeitenden System eine klar definierte Rolle, der sie zwangslaeufig zu entsprechen hatten. Ihre Individualitaet war zur Nummer herabgesunken und ihr Name wurde noch bestenfalls im Sinne des moeglichst praezisen Vollzuges des gesamten Planes auf einer Transportliste festgehalten. Der einzelne Mensch war lediglich Teil eines Kontingents, das es mit bestimmter Zieldefinition quer durch Europa zu manoevrieren galt. Und jenem Teil dieses Kontingentes, der nach der Ankunft im Vernichtungslager nicht sofort ins Gas geschickt wurde, also vorerst der physischen Liquidation entging, dem wurde, um der mathematischen Praezisionsarbeit Genuege zu tun, die ihm zugedachte Kennzeichnung, eben eine Nummer, wie ein Brandzeichen ins Fleisch taetowiert. Und dies, wegen der zahlenmaessigen Groessenordnung und der alltaeglichen an der Lagerfunktionalitaet gemessenen Organisierbarkeit, eben auch nur in Auschwitz. Der Verwirklichung seiner Ideen stand dem Nationalsozialismus das zum damaligen Zeitpunkt am weitesten entwickelte wissenschaftliche, technische und organisatorische Know-how sowie saemtliche praktisch erforderlichen Mittel inklusive eines ganzen staatlichen Apparates zur Verfuegung. Beachtliche Teile der gesellschaftlichen Elite aus Wissenschaft, Industrie, Kultur und Politik stellten sich in den Dienst der Realisation seiner Ziele. Aerzte nahmen insbesondere innerhalb des Zuechtungs- und Vernichtungsprogrammes Schluesselpositionnen ein, bis hinein nach Auschwitz, wo sie "brauchbare" von "unbrauchbaren" Menschen scheinbar fachgerecht selektierten, den Vernichtungsprozess kontrollierten und mit wissenschaftlicher Akribie medizinische Experimente durchfuehrten. Der Nationalsozialismus realisierte die Interessen einer gesellschaftlichen Majoritaet und wurde getragen von grossen Teilen saemtlicher gesellschaftlicher Schichten. Traditionelle Werte wurden ersetzt durch neuformulierte Wertparadigmen, welche weiten bislang zu gesellschaftlicher Inferioritaet verurteilten Bevoelkerungsgruppen soziale Aufstiegs- und wirtschaftliche Expansionschancen bot und schon aus diesem Grund fuer viele zur sozialen und politischen Attraktion wurde. Der Nationalsozialismus war der - vorerst misslungene - Versuch einer globalen gesellschaftlichen Neuordnung auf der Grundlage eines nach biologistischen Kriterien durchargumentierten Weltbildes, auf der Grundlage einer hochmodernen Stufe der Kulturation, auf der Grundlage saemtlicher oekonomischer, sozialer, politischer und kultureller Potentialitaeten einer entwicklungsmaessig fortgeschrittenen Industriegesellschaft, auf dem Hintergrund von gesellschaftspolitischer Frustration und entsprechender Kompensationssucht bezueglich einer juengst verlorengegangenen politischen und wirtschaftlichen Vorherrschaft durch einen verlorenen Krieg. Begreift man nun das nationalsozialistische System mit allen seinen sozio-kulturellen Implikationen als Verdichtung, Kristallisation von Systemelementen und Funktionsweisen einer modernen Industriegesellschaft, als eine ihrer moeglichen Varianten, so rueckt es eben auf diese Weise in den Bereich unserer Normalitaet, koennen wir anhand des Nationalszialismus jener Realitaet, Teile jener Realitaet analysieren, die uns seither umgibt beziehungsweise in Zukunft voraussichtlich weiter umgeben wird. Deshalb ist es geboten, nunmehr vor allem auch die Gemeinsamkeiten zwischen dem Nationalsozialismus und anderen ideologischen, politischen, sozialen, oekonomischen und kulturellen Formationen und Prozessen der Gegenwart herauszuarbeiten. Ich behaupte sogar, das vielbemuehte "Andere" am Nationalsozialismus ist lediglich ein gradueller Unterschied in der Form der Durchfuehrung und Durchsetzung neuzeitlicher Herrschaftsinteressen jedweder Art. Weil aber der normative Bruch des Nationalsozialismus mit den noch offiziell mehrheitlich akzeptierten tradierten Wertstrukturen des aufgeklaerten Humanismus und religioss motivierter, generell die Existenz aller Menschen bejahender Weltbilder noch zu gross war und ist, faellt es so leicht, sich in jeder Hinsicht von ihm zu distanzieren und ihn zum "Suendenbock" zu stilisieren. Seinen Zielen unterworfen hat der Nationalsozialismus alles und jeden. Seine Herrschaftspraxis reichte von oekonomischer und demographischer Grossraumplanung bis hinein in die genetische und mikropsychologische Versklavung des einzelnen Menschen. Er war auch eine Vergewaltigung an denjenigen, die ihn trugen und befuerworteten. So eine Behauptung aufzustellen mutet allerdings an wie ein Frevel an den Menschen, die er offensichtlich versklavte und an denen der nationalsozialistische Wille zur Macht mit der Extermination endete. Nichts ist verstaendlicher als das Entsetzen eines ehemals Gequaelten und sein spontaner Versuch, den am eigenen Leib als "Gegenmenschen" (Jean Amery) erfahrenen Peiniger so weit als nur moeglich von sich weg, ja sogar aus der Spezies der Menschen auszuweisen, um durch eine nunmehr unueberwindliche Distanz die ehemals fast toedliche Naehe ideell zu kompensieren. Aber das wesentlich Erschreckende ist wohl, dass diese "Ungeheuer" eben keine, sondern trotz allem, oder gerade wegen all dem Geschehenen nur Menschen waren und sein konnten. (Martin Walser) Wie viele von uns koennten behaupten, sie verfuegten nicht ueber die Potentialitaeten zu einem Auschwitzer Taeter, waeren sie aehnlichen Rahmenbedingungen von Kindheit an ausgesetzt gewesen wie diese! Wir sind doch alle ausgestattet mit Reaktionscodes, die unser Ueberleben garantieren helfen, wir sind in einem fast uneingeschraenkten Masse durch Ausseneinfluesse auf saemtlichen Ebenen unserer Existenz brechbar und formbar, aber auch veraenderbar, manipulierbar und befinden uns in einem permanenten Metabolismus mit unserem unmittelbaren Milieu; auf allen Ebenen unseres Empfindens, Denkens und Handelns; empfaenglich dem gegenueber, was uns als "gut" und "boese" nahegebracht wird, was wir als solches erfahren haben und erfahren, so dass eine sehr differenzierte Analyse psychischer und sozialer Prozesse in einem Individuum vonnoeten sein wird, um erkennen zu koennen, wie aus einem Menschen ein Taeter, und noch dazu ein Auschwitzer Taeter werden kann. Bedenken wir einmal, dass jeder Mensch, auch der spaeter zum Taeter werdende, zunaechst einmal mit einer ihm innewohnenden Erwartung nach liebendem Angenommensein und kreativer Entfaltung seiner gesamtpersonalen Moeglichkeiten in diese Welt kommt. Und bedenken wir in diesem Zusammenhang lediglich, dass das Liebesvermoegen eines Menschen schon fundamental gestoert und zerstoert, ja buchstaeblich zertreten worden sein muss, dass auch die spaeter zum Taeter mutierte Person zutiefst verletzt und gedemuetigt - von wem auch immer - worden sein muss, so dass ihre spontanen, vielleicht nur noch im Unbewussten vorhandenen Hass- und Rachegefuehle ob dieser Verletzungen zu ihrer vermeintlichen Kurierung in derartige Bahnen gelenkt werden konnten. Ein Verhaltensspektrum, das bekanntermassen von der buchstaeblich kindermordenden Bestie ueber den versierten Meister der Folter bis hin zum kuehl die Ausrottung anderer Menschen kalkulierenden Schreibtischtaeter reichte. Vom psycho-oekonomischen Standpunkt aus betrachtet ist Aggression - vereinfacht gesprochen - eine emotionale Stabilisierungsreaktion des Menschen. Sie ortet, markiert und verteidigt bei – vermeintlichg – drohender Gefahr die Grenzen seiner Welt, seiner je eigenen Identitaet. Was aber ist es, das die durchaus konstruktive, weil den Menschen schuetzende Aggression umwandelt in jenen, vielleicht gar nicht mehr als solchen erkennbaren Hass und Rachedurst, der zum totalen Uebergriff am andern Menschen fuehrt? Noch weiter: wie werden Menschen zu jenen Folterknechten, denen mitunter sogar jede emotionale Beteiligung am Foltern selbst abhanden kommt? Die Psychologie der Taeter ist wenig erforscht. Die Frankfurter Schule hat den "autoritaeren Charakter" studiert, in der psychoanalytischen Tradition versuchte es unter anderen Alice Miller mit einer Kindheitsanalyse von Adolf Hitler. Der Arzt Robert Jay Lifton untersuchte Nazi-Aerzte. Nur einige wenige wichtige Beispiele seien hier genannt. Trotzdem aber bleiben bei einer umfassenden Konfrontation mit diesem Bereich des Nationalsozialismus ungezaehlte Fragen offen, die dann doch immer wieder in der einen letzten, fassungslosen Frage steckenbleiben: "Wie war denn das alles ueberhaupt moeglich? Wie konnten Menschen, ja, MENSCHEN, dies tun?" Bei tieferer Betrachtung werden wir nicht umhin kommen, auch bei den Taetern einen fortgesetzten Zerstoerungsprozess an ihrer Integritaet festzustellen, beginnend in ihrer Kindheit schon, spaeter dann politisch nutzbar gemacht in den ideologischen Formierungsvorgaengen im psycho-sozialen Bereich, bis dorthin, wo das Mordhandwerk ueber den konkreten Anschauungsunterricht methodisch erlernt und schliesslich in den ungeheuerlichsten Aufformungen angewendet wurde. Auch der, der dann mordete, folterte, wurde einmal selbst gequaelt und deformiert, gedrillt und brutal sanktioniert. Und niemals hatte dieser Mensch Gelegenheit, oder auch nur den Wunsch, sich der an ihm geschehenen Verbrechen trauernd zu erinnern. Stets verblieb er dabei, den angestauten Hass ueber die eigene Zerstoerung abzureagieren an den zur Verfuegung gestellten oder gerade dem unmittelbaren Zugriff verfuegbaren "Suendenboecke", die innerhalb der nationalsozialistischen Ideologie als die wie auch immer gearteten "Anderen" in Relation zu den "idealen" Zielvorstellungen dieser Ideologie definiert wurden. Ich wiederhole: Juden, Zigeuner, Slawen, Alte, unheilbar Kranke, "Asoziale", "Kriminelle", politisch Andersdenkende, sexuell von der Norm Abweichende, religioese "Sektierer" etc.. Ich frage nun Hannah Ahrendt: Wie steht es um das "Rechtsgefuehl", welches "in den Tiefen jedes Menschen, so lange er ein Mensch ist, verankert ist, auch wenn er mit den Gesetzbuechern nicht betraut ist" (Hannah Ahrendt)? Das dieser Aeusserung zugrunde liegende normative Konzept ist meines Erachtens das des nicht naeher definierten "guten Menschen", ganz allgemeinst gemessen an den Wertvorstellungen abendlaendischer Religionen, der Geistestradition der Aufklaerung und des Humanismus. Von ihm muss hier die Rede sein, wenn von "Mensch" und "menschlich" gesprochen wird. Aber ich denke, die moralische Potentialitaet des Menschen reicht eben von "gut" bis "boese", und noch entschiedener denke ich mir, das der Mensch keinen "eingeborenen Abscheu vor Verbrechen" (Hannah Ahrendt) hat. Waere dem so, dann unterliesse der Mensch instinktiv sogenannte verbrecherische Handlungen, dann gaebe es wohl das Problem des Verbrechens gar nicht und es eruebrigte sich jede moralische, ethische und rechtliche Setzung diesbezueglicher Richtlinien und Normen. Moralische Raster, in denen sich der Mensch mit seinen Gefuehlen und Gedanken, seinem Handeln einrichtet, bilden sich im Laufe der sozialisationsspezifischen Entwicklung, die sich herausbildende psychische Feinstruktur ist ebenfalls den Modifikationen dieses Prozesses unterworfen. So gesehen, kann man annehmen und sagen, es muss wohl schon viel "Gutes" in einen Menschen gekommen sein, bis dass er selbst ein sogenannt "guter" Mensch wird, der einen ansozialisierten Abscheu vor dem Verbrechen hat. "Gut" und "boese" sind auf soziologischer Ebene zunaechst einmal nur normative Setzungen, variable Groessen, korrespondierend mit der Sozietaet, die sie jeweils kreiert hat und fortlaufend reproduziert. Und diese normativen Gebarungen eignet sich ein Mensch im Laufe seines im Grunde nie endenden intra- und interkulturellen Sozialisationsprozesses aktiv und/oder passiv an. Sein "Rechtsgefuehl" ist somit nicht eine ein fuer alle mal fixierte moralisch-ethische und psycho-intellektuelle Groesse, sie ist tatsaechlich weitgehend eine soziogene Variable. Weiters bedenke man die Eigendynamik normativer und Prozesse in ihrer noermierenden Rueckwirkung auf die psychosoziale Konstitution des Individuums, man bedenke Zugzwaenge verschiedenster Art. Und an dieser Stelle moechte ich Jean Amery doch widersprechen und Hannah Ahrendt wieder recht geben: das "Boese" ist vielleicht doch "banaler" als man denkt, vor allem auf der Ebene des normierbaren sozialen Verhaltens, so zerstoererisch und qualvoll sich dies auch am torturierten und seiner Vernichtung preisgegebenen Menschen verwirklichen mag. In der nationalsozialistischen Gesellschaft gehoerten eben Verfolgung und Vernichtung - wenn auch partiell unter dem Denkmantel der Geheimhaltung - zum Alltag, sie waren integraler Bestandteil der als "nationalsozialistisch" definierten Normalitaet; und die Sozietaeten im In- und Ausland wussten zumeist besser darueber Bescheid, als von ihnen zugegeben. Auch der Nationalsozialismus entwarf gemaess dem ihm zugrundegelegten Weltbild, seiner Werteparadigmen und den daraus resultierenden intentionalen Imperative normative Raster fuer das Handeln, vollzog er normative Umbewertungen bis hinein in den, bzw. in erster Hinsicht im Bereich von Moral und Ethi. Brach er mit einer Tradition, in der es zumindest offiziell und allgemein anerkannt einmal hiess: "Du sollst nicht toeten", "Du sollst nicht stehlen", "Du sollt deinen Naechsten lieben wie dich selbst", "Du sollst ..." Wie stark aber die Verpflichtung gegenueber dieser Tradition noch bis in die Praxis des Massenmordes hineinwirkte, zeigt sich u.a. daran, dass Deportation und Vernichtung unter dem Siegel strengster Geheimhaltung, der Kreierung einer eigenen Sprache, die fast keine semantischen Rueckschluesse erlaubte, dem Versuch, laufend ihre Beweise und Augenzeugen zu vernichten, sowie in der Tatsache, dass sie ausschliesslich innerhalb des groessere Spielraeume zur Geheimhaltung bietenden Kriegsrechtes durchgefuehrt wurde. Mord an Menschen, die sich keiner Verbrechen - auch im Sinne der NS-Strafgesetzordnung - schuldig gemacht hatten, die nichts getan hatten, fuer das die Todesstrafe vorgesehen war, konnte offenbar auch auf juristischer Ebene noch nicht absanktioniert werden und musste aus diesem Grund im geheimen vor sich gehen. Ideologisch vorbereitet war dieser Massenmord jedoch sehr wohl. Dafuer, dass man - zunaechst einmal auf rein verbaler Ebene - bereit war, Juden wie Ungeziefer "auszumerzen", gibt es genuegend Beweise im Propagandamaterial des Nationalsozialismus. Der Nationalsozialismus ist nun erwiesenermassen nicht die erste und einzige Herrschaftsform in Geschichte und Gegenwart, die Auspluenderung und Vernichtung von Menschen kalkulierte. Und ein eben solcher Gemeinplatz ist es, dass Menschen immer schon in der Lage waren, andere Menschen zu toeten. Was allerdings der Nationalsozialismus zuweggebracht hat, war, dass er in seinem Bemuehen, Mord zum Zwecke der Erreichung herrschaftspolitischer Interessen zumindest in das Blickfeld des moralisch tolerierbaren zu ruecken, sowohl auf ideologisch-propagandistischer Ebene erfolgreich war, als auch, dass es ihm sogar in der Praxis gelungen ist, sogenannt "lebensunwertes" von "lebenswertem" Leben zu trennen und den "Unwert" dem Tod zu ueberantworten. Und es ist ihm gelungen, den groessten bis dahin bekannten Massenraubmord in der Geschichte der Menschheit mit staatlichen Mitteln zu planen und durchzufuehren. Es ist dem Nationalsozialismus auch geglueckt, Menschen bis hinein in ihre emotionalen Bewegungen genauestens zu kalkulieren und noch die vielfaeltigsten Formen ihres Widerstehens sich selbst dienstbar zu machen. Dies wiederum bis in die Kalkulation der Vernichtungsmaschinierie, bis hinein nach Auschwitz. Um seine Ziele erreichen zu koennen, vergewaltigte der Nationalsozialismus ALLE ihm unterworfenen Menschen auf eine fast perfid "banale" Art und Weise. Die einen schickte er in die Vernichtung, aber er reglementierte, disziplinierte und instrumentalisierte auch jene, fuer die er sich zum ideologischen, politischen und sozialen Anker gemacht hatte. Nationalsozialistische Massnahmen waren keine "Willkuerakte", sondern genauestens abgezirkelte, bis ins letzte Detail hinein geplante und ideologisch durchargumentierte Aktionen. Es war leider gar nichts "pseudo" und "willkuerlich". Nicht einmal die Willkuer, denn auch sie war bereits einkalkulierte Groesse - Unregelmaessigkeiten treten ja noch in der hervorragendsten Planung in Erscheinung. Der ueberwiegende Teil jener Handlungen, die aus dem nationalsozialistischen Weltbild heraus motiviert und begruendet waren, bezwingen durch konsequenten Realitaetsbezug und gewaltsame Folgerichtigkeit. Man sollte auch nicht in den Fehler verfallen, die Forschungsaktivitaeten des NS-Regimes - bis hin zu den Menschenversuchen in den Konzentrationslagern - als "unwissenschaftlich" abzuqualifizieren. Ideologie und Praxis des "Herrenmenschentums" bewegten sich durchaus auf der sozio-kulturellen Hoehe ihrer Zeit, bedienten sich sogar einer groesstmoeglichen auch wissenschaftlichen Methodik und Praezision, um sich zu fundieren, was eben unter anderem die akribische Durchfuehrung der Menschenversuche dokumentiert. Die Kalkulationen dieser Experimente waren gemessen an den damals geltenden Standards sogar aller Wahrscheinlichkeit nach von "bestem" damals praktizierten wissenschaftlichen Standard. Zum Versuchsobjekt und buchstaeblich Versuchsmaterial hatte man den Menschen gemacht. Diese Handhabe und Zweckdefinition des Menschen entprach jedoch wiederum konsequent der Logik jenes biologistischen Weltbildes, dessen der Nationalsozialismus sich bediente. Der "anus mundi" war demnach perfekt durchdacht, und an der Perfektion seines Entwurfes, seiner Planung und Organisation erkennt man - auch gegen den Ekel - intellektuelle Brillanz! Auf allen Ebenen spiegeln sich nun nationalsozialisitische Ideologie und Praxis in der konkreten Realitaet der Konzentrationslager, und hier wieder durch seine Multifunktionalitaet in Auschwitz in besonderem Masse konzentriert. Auschwitz koennte man durchaus - so weitergedacht - als die negative Quintessenz des Nationalsozialismus bezeichnen. Auschwitz war zugleich Vernichtungslager, aber auch Arbeitslager. Nach Auschwitz gelangten saemtliche Kategorien von Haeftlingen, wobei sogleich hervorgehoben werden muss, dass die dominante Funktion als Vernichtungslager seit 1942 die gesamte Lagerrealitaet beherrschte, fuer die dort Inhaftierten, aber auch fuer das diensthabende Wachpersonal, die Exekutoren der Vernichtung und der uekonomischen und wissenschaftlichen Menschenverwertung. Oftmals scheitert die Mitteilbarkeit des Auschwitzer Alltages, um Naeheres ueber ihn in Erfahrung zu bringen, an der gegenseitigen Weigerung, sich das Ausmass des Dreckes, Gestankes, der Brutalisierung, Erniedrigung, Pervertierung, der Ohnmacht und der Hoffnungslosigkeit des Haeftlings und der unmittelbar nach ihrer dortigen Ankunft Tod"geweihten" vor Augen zu fuehren. "Auschwitz war keine Belletristik!" (Zofia Pohorecka) Fuer uns Nachgeborene kann es auch nicht darum gehen, uns in einem Blutbad zu aalen, oder uns am Unglueck geschundener Menschen zu weiden. Genauso wenig soll es uns aber auch darum gehen, Helden und Heilige zu stilisieren. Helden, Heilige, es hat sie tatsaechlich gegeben, aber sie sind nicht typisch fuer Auschwitz. Hier war der, der ins Gas ging, der Muselmann, das Muselweib, hier war der in jeder Hinsicht zerstoerte Mensch Normalfall. Und hier haben wir es mit menschlichem Verhalten zu tun, das genauso gut unser eigenes haette sein koennen, welches auch tatsaechlich unseres eigenes ist, wenn wir den situativen Vergleich wagen. Keine Belletristik, gewiss, aber die gesamte Spannbreite von menschlichen Verhaltensweisen, die durch den Vernichtungsdruck an die aeussersten und letzten ihrer Moeglichkeiten getrieben wurden. Das Ueberleben der Menschen innerhalb der Lagerstruktur von Auschwitz war in erster Hinsicht ein physisches Problem. Der Koerper des Menschen wurde ausgepresst, geschunden, gequaelt und vernichtet, nachdem man ihn nicht mehr gebrauchen konnte. Die Vernichtungsstrategie zielte gleich einem Generalangriff auf die Physis. In Auschwitz wurde der Mensch zu einem Stueck rohem Fleisch, nachdem man ihn vorher zur seelenlosen Nummer abqualifiziert hatte. Er war lediglich noch biologische Substanz in den Funktionszusammenhaengen des Vernichtungs- und oekonomischen Verwertungszusammenhanges. Wozu sollten sich die Organisatoren noch Gedanken machen um die psychische und physische Befindlichkeit des Einzelnen, wo er doch lediglich physisches Rohmaterial war? Einmal auf dieses Niveau reduziert, durfte man jeden Uebergriff am Menschen wagen, jeden Eingriff vornehmen. War man doch Herr ueber seine biologische Substanz! Dieses Faktum erklaert vielleicht zum Teil die konsequente Kaltbluetigkeit, mit der hier der Henker, sei er nun Organisator physischer Massenvernichtung vom Schreibtisch aus, sei er der selektierende und experimentierende Arzt, der SS-Mann als Bewacher, ja, sei er Capo, an sein Werk ging. Dieser Praxis zugrundegelegt war das hier bereits mehrfach angefuehrte biologistische Weltbild, in welchem der "erbgesunde", biologisch-medizinisch sogenannt intakte, und noch dazu "arische" Herrenmensch angestrebt wurde, der durch gezielte Auslese und Zuechtung hergestellt werden sollte. Der diesem Ideal nicht entsprechende, demnach gemessen an der Rationalitaet dieser Ziele "wertlose" Mensch konnte u.a. der industriellen Logik zufolge schlichtweg restverwertet und schlussendlichlich vernichtet werden. Sowohl "Herrenmensch" als auch "Untermensch" wurden in wesentlichen nur noch nach biologisch-medizinischen Kriterien beurteilt, und deshalb durfte man ueber seine bzw. ihre Existenz verfuegen, gerade so, wie man es scheinbar "gerechtfertigt" war. Auf dem Hintergrund dieser ideologisch-systemischen Logik wird in gewisser Hinsicht auch die rigorose Handhabe der Auschwitzer Lebensbedingungen durch den Apparat verstaendlich. Wozu sollte man den Menschen noch die Annehmlichkeiten der Hygiene, menschenwuerdiger Unterbringung, Kleidung, Ernaehrung, medizinischer Versorgung und ertraeglicher Arbeitsbedingungen gewaehren, wenn man sie ohnehin nichts als loswerden wollte. Planziele mussten ja erreicht, Menschenmassen mussten zur "Abfertigung“ gebracht werden. Und um dies zu bewerkstelligen, bedurfte es einer praezisen Strategie und einer funktionstuechtigen Organisation sowie Administration. Saemtliche Elemente der Ideologie, der Zieldefinitionen sowie ihrer planmaessigen Verwirklichung ineinander, deren Endergebnis Auschwitz, der Alltag von Auschwitz wird, fuer den in wesentlichen Zuegen nur noch das Diktat der Vernichtung gilt, fuer jenen Teil der Menschheit, die der Nationalsozialismus kurz-, mittel- und langfristig vom Erdboden auszuradieren gedachte. Eines der hervorstechendsten Merkmale des Auschwitzer Vernichtungsvollzuges ist seine Leidenschaftslosigkeit. Gemessen an der Rationalitaet des Programms und an den zu "bewaeltigenden" Quantitaeten von Menschen"materialien" waere wohl jede tiefere emotionale Beteiligung an diesen Vorgaengen fuer die Administratoren, Henker und Folterer ebenso emotionale Dauerueberforderung gewesen. Trat sie zutage, wurde sie u.a. "kuriert" mit vermehrtem Alkoholkonsum, aber auch mit kulturellen Aktivitaeten verschiedenster Art. Man entspannte sich bei den von Haeftlingen erbrachten Darbietungen klassischer Musik, bei gutem Essen und troestete sich wohl auch mit den ungeheuerlichen Moeglichkeiten, Wertgegenstaende zu "organisieren" ueber die grausigen Fakten des taeglichen "Dienstes" im Lager hinweg. Die Anwesenheit vereinzelter Sadisten unter den Bewachern ist erwiesen, aber individueller Sadismus ist wohl fuer Auschwitz genauso untypisch – allerdings nicht unmoeglich - wie individuelles Heldentum. Persoenliche sadistische Motive der individuell Handelnden reichen zur Erklaerung der perfekten Funktionstuechtigkeit des Auschwitzer Apparates jedoch nicht aus. Der Grossteil der SS-Leute waren ihrer psychischen Struktur nach eben keine Sadisten, auch dann nicht einmal, wenn sie bekannt dafuer wurden, dass sie mit gnadenlosester, ja abartigster Brutalitaet fuer "Ordnung" im Ablauf des Lagerbetriebes sorgten. Die "Normalitaet" der SS-Funktionaere ist unter anderem auch daran zu erkennen, dass ansonsten fuer ihre Grausamkeit bekannte Henker sich gelegentlich zu Nettigkeiten einzelnen Haeftlingen, insbesondere auch Kindern, gegenueber hinreissen liessen, wie dies beispielsweise bekannt ist von Mengele, der Tausende von Menschen ohne jegliche Ruehrung ins Gas schickte, manchen Kindern, die er fuer seine Experimente missbrauchte, gelegentlich mit vaeterlichen Gefuehlen und Verhaltensweisen entgegenkam, ihnen Bonbons schenkte und sie in seinem Auto mitfahren liess. Offensichtlich paradoxe Reaktionen, die aber nur dann verstehbar werden, wenn man diese Menschen eben als "gesunde" und "normale" Menschen ansieht, die sich nicht mehr und nicht weniger denn als Schoepfer und Vollstrecker einer neuformulierten weltumspannenden Herrschaftsideologie sahen. Vernichtet haben die neuen Herrenmenschen in Auschwitz schliesslich auf allen Ebenen des Konzentrationslagerbetriegs: Massenvernichtung durch Vergasung, Vernichtung mittels Einzel- oder Gruppenexekutionen, Vernichtung durch Arbeit, Vernichtung arbeitsunfaehig Gewordener, Vernichtung durch Hunger, Vernichtung durch Krankheit, Vernichtung durch Unterbringung, um nur die wichtigsten, strukturell bedeutsamsten Vernichtungspraktiken zu nennen. In Auschwitz ist so direkt gerichteter Vernichtungswille des Menschen am Menschen durch nachvollziehbares und nachkonstruierbares Handeln sichtbar geworden. In letzter Konsequenz war Auschwitz Vernichtung von Menschenmaterial und dessen vorangehende und nachtraegliche Restverwertungen. Vernichtung hiess schliesslich die Logik, die jede Sekunde des Alltags durchdrang und dominierte. Deshalb wurde Auschwitz zur Chiffre fuer Vernichtung schlechthin. Jene, die die Wucht des Vernichtungsdiktates mit aller Macht traf, waren Juden. Juden mussten ins Gas. Und liess man sie wegen des Arbeitseinsatzes noch am Leben, so wurde fuer sie das Vernichtungsdiktat im Lager selbst mit allen Haerten und allerletzten Konsequenzen wirksam. Hatten alle anderen Haeftlingskategorien von der ideologischen sowie lagerinternen strukturellen Raumvorgabe noch gewisse Ueberlebensspielraeume, so war die Zieldefinition fuer Juden einzig und allein die Vernichtung. Und sie ist bekanntermassen erfolgt, universell und massenhaft. In Auschwitz waren Juden weniger wert als Vieh. Und wie sich hier die Leidenschaftslosigkeit des Auschwitzer Mordens im massenhaften "Erscheinen" des Muselmannes, der Muselfrau in den sich in letzten Stadien des Verhungerns spiegelt, dessen individuelles Leid zugleich ein unermessliches wird. Leid ist subjektive Gefuehlsqualitaet. Es ist im quantitativen Sinn nicht in Vergleich zu stellen. Schmerzgrenzen sind von Mensch zu Mensch variabel. In Auschwitz trat aber trotzdem gewissermassen eine Objektivierung bestimmter Leiderfahrungen ein, da unter gleichen Bedingungen Menschen von gleichen bzw. aehnlichen Leiderfahrungen heimgesucht wurden. Eine fatale Einheit des Ortes und der Zeit sind demnach gegeben. Die objektiven Ursachen dieses Leides sind bekannt und darstellbar, beschreibbar geworden, und auch - insbesondere durch das massenhafte Betroffensein von Menschen- das Handeln dieser Betroffenen innerhalb ihrer Rahmenbedingungen, den Auschwitzer Vorgaben. Das Grauen, die totale Zerstoerung von Menschen durch diese von Menschen fuer Menschen entworfenen und installierten Rahmenbedingungen ist unwiderruflich sichtbar geworden. Und im entindividualisierten Antlitz des Muselmannes, der Muselfrau spiegelt sich eine gewisse "Objektivitaet" der Auschwitzer Leiderfahrung wieder. Die Dimensionen der Vernichtung Uebersteigen allerdings die zunaechst durch die Lagerfunktionalitaet offensichtlichen. In Auschwitz ist noch mehr geschehen. Denn jene Menschen, die unter diesen Bedingungen um ihr Ueberleben kaempften, waren gezwungen, jedes Tabu zu brechen, sie waren bereit, buchstaeblich ALLES fuer ihr Ueberleben zu tun. Und weil er sein Leben um jeden Preis erhalten wollte, weil er nichts so sehr wollte, als leben, hier und heute, deshalb ist in Auschwitz der Mensch zerstoert worden. Er ist zerstoert worden auf allen Ebenen seiner Existenz: physisch, psychisch, sittlich, moralisch, intellektuell, spirituell. Vor keiner Form der "Prostituierung" bewahrte die Hoffnung den Menschen (Tadeusz Borowski). Auf geradezu erschuetternde Weise ist noch in der allmaechtigen Gegenwart der Gaskammer das Leben in all seinen Dimensionen, in all seinen Facetten weitergegangen. Orgien wurden gefeiert (dies galt selbstredend "nur" fuer "besser gestellte" Haeftlinge), "Verhaeltnisse" gepflogen, es wurde Champagner getrunken, Kaviar gegessen, und es wurden Witze ueber den Kamin gemacht. Es wurden Reichtuemer verschoben, es wurde gehandelt und betrogen. Um jede Sekunde, Minute, Stunde, um jeden weiteren Tag des Lebens wurde verzweifelt gekaempft. Es wurde auch geliebt, es wurden Kinder gezeugt. Mit brachialer Gewalt und genauem Kalkuel bahnten sich Menschen den Weg zu den lebensnotwendigen Ressourcen, genauso aber konnte es sein, dass der Kamerad mit seinem Naechsten teilte, was ihm an Lebensnotwendigem zur Verfuegung stand. Waehrend sich Haeftlinge massenhaft in eine grauenhafte Vereinzelung und Verstummung zurueckzogen, konnte es vorkommen, wenngleich auch selten, dass Menschen sich zu den waghalsigsten Aktionen des Widerstandes zusammenfanden. Zu altruistischer Selbstaufgabe waren Menschen noch faehig, in der Regel aber sorgte jeder zunaechst einmal rigoros fuer sich selbst. Nur der Muselmann konnte an all dem nicht mehr teilhaben. Fuer ihn war das Leben nur noch Sterben. Aber auch er hatte die Hoffnung mitunter noch nicht ganz aufgegeben. Durch alle Bosheit hindurch, durch alle Hoffnung und Verzweiflung, Auflehnung und Leidenschaft, aber auch Leidensbereitschaft hat sich in Auschwitz das Leben seine Bahn gebrochen. Bis hinein in die Taeuschung vor der Endstation Gaskammer und die psycho-physische Selbstaufloesung des Muselmannes. Somit spiegelt sich in der allgewaltigen Realitaet der Vernichtung die mitunter nicht weniger grauenhafte Logik des Leben, denn ueberall, auch noch in der letzten Niedertrtracht heisst es: "Ich will leben!" Die Ueberlebenden von Auschwitz haben den Beweis erbracht, dass Menschen der ihnen zugedachten Vernichtung mit jeder Faser ihrer Existenz zuwidergehandelt haben, dass sie im Angesicht eines universal verhaengten Todeswillens bereit waren, die moerderischsten Bedingungen, mehr, dass sie bereit waren, ihre eigene Zerstoerung fuer ihr Ueberleben und Leben in Kauf zu nehmen. Und so besehen koennte man den gigantischen Ueberlebenskampf dieser Menschen durchaus als einen quasi religioesen Akt, eine TOTALE "Hingabe" an das Leben im Hier und Heute und das vielleicht als ihr Vermaechtnis ansehen. Wie bereits gesagt, der "anus mundi" war perfekt durchdacht und hat ebenso perfekt funktioniert. Hier ist es, wie mehrhaft erwaehnt, gelungen, die Vernichtung global, aber auch bis hinein in die individuellen Interessenslagen der Menschen zu operationalisieren. Keine noch so gewagte Widerstandshandlung kann darueber hinwegtaeuschen, dass Auschwitz, man kann es gar nicht oft und eindringlich genug sagen, funktioniert hat. Menschen haben dem ihnen zugedachten Kalkuel weitestgehend entsprochen. Sie mussten ihm entsprechen, wenn sie auch nur eine geringe Ueberlebenschance haben wollten. Auch noch das verzweifelte Anrennen gegen die Vernichtung konnte von den Machthabenden im Lager oftmals noch in den Dienst der ihres Vernichtungwillens gestellt werden. Die SS entwickelte ein System der Durchfuehrung ihrer Planziele, welches den allergroessten Teil der Dreckarbeit ihren Opfern ueberliess. Funktionshaeftlinge wurden in den Dienst der Vernichtungsmaschinerie gestellt, und sie wurden von der SS fuer den reibungslosen Ablauf des Programmes mitverantwortlich gemacht. Mit drankonischen Massnahmen wurden auch sie zur Verantwortung, wenn sie ihre Aufgaben nicht zur vollen Zufriedenheit der SS erfuellten. Wollte also ein solcher Funktionshaeftling in seiner Funktion verbleiben, so musste er seinen allemal problematischen Auftrag perfekt erfuellen. Er musste der Logik der ihm zugedachten Aufgabe entsprechen und somit der Logik des Vernichtungsmaschinerie, die ihn zu einem Mit-Transformator des Vernichtungsauftrages machte. Der Capo etwa wird zu einer zentralen Figur im Ablauf des Alltages im Vernichtungslager, er hat unbegrenzte Macht ueber seine Untergebenen, und er macht einen ebenso unbegrenzten Gebrauch von ihr, so dass man nicht umhin kann, festzuhalten, dass ganze Bereiche des Vernichtungsvollzuges gewissermassen in "Selbstverwaltung" durchgefuehrt wurden. Dies war zum Beispiel dann der Fall, wenn ein Capo dafuer sorgte, dass am Abend so und so viele Haeftlinge erschlagen auf dem Leichenwagen von der Arbeit zurueckkehrten, oder wenn eigenmaechtige Eingriffe in die Liste bereits fuer den Tod Selektierter vorgenommen wurden. Wurde einer von der Liste entfernt, so musste ein anderer in sie eingetragen werden, denn die Anzahl auf der Liste musste immer stimmen. Das sind nur einige wenige Beispiele dafuer. Manche Funktionshaeftlinge haben aber auch von den schier unglaublichen Moeglichkeiten von Auschwitz ,zu organisieren, zu schieben, sich zu bereichern, hemmungslosen Gebrauch gemacht. Was sich hier an Verrat, Korruption und Betrug auf der Grundlage des Gutes der Ermordeten zugetragen hat, gehoert zweifelsohne ebenfalls zu den finsteren Kapiteln der Geschichte. Aber gerade hier muss man es wieder sagen: Nicht um zu richten gehen wir nach Auschwitz, sondern einzig und allein um allumfassend zu erkennen. Was es aufzuzeigen gilt, ist in erster Linie die Prekaritaet des Subjektes, seine unbeschraenkte Manipulierbarkeit, sein restloses Ausgeliefertsein an den todbringenden Apparat und an seinen Wunsch zu Ueberleben. Somit bricht sich auch das, was wir als Widerstand und Widerstaendigkeit einzelner Menschen oder von Gruppen von Menschen erkennen koennen, relativiert sich ihr edelstes Verhalten im Spiegel Auschwitz und gibt sich in all seiner Begrenztheit zu erkennen, den Handlungsstandort und somit den Handlungsspielraum der jeweiligen Akteure betreffend. Die Auschwitzer Realitaet widersetzt sich jedem Heldenepos und jedem Heiligenideal, da das Diktat der physischen Vernichtung die absolut ueberwiegende Mehrheit der dorthin gelangenden Menschen traf. Dem Leben in die Arme wirft sich jener, Widerstand gegen die Zwangslogik des Auschwitzer Systems leistet derjenige, der das Lebensnotwendige, so er die Moeglichkeit dazu ueberhaupt hat, "organisiert", der um jede Stunde seines Lebens kaempft. Es leistet jener Widerstand, der sich in die Verweigerung des Irrsinns zurueckzieht, auch wenn ihm daraufhin der sichere Tod beschieden ist. Widerstand leistet eine Mutter, die ihr Neugeborenes versucht zu verstecken, aber auch jener, der heimlich ein Tagebuch fuehrt, sich portraetieren laesst. Widerstand leistet derjenige, der dem jeweils Naechsten ein gutes Wort sagt, der Medikamente und Nachrichten schmuggelt, der den Aufstand plant, der fluechtet. Es widersteht jener, der liebt – ja, auch das hat es gegeben! Unbegrenzt ist die Palette der Moeglichkeiten zum Widerstehen, zum Stehenbleiben gegen das. Hinabgeschlagenwerden. Ein Widerstehen, das sich nur fuer die wenigsten in ein Ueberstehen verwandelte. Heute befinden wir uns nun vor der niederschmetternden Erkenntnis von Auschwitz und haben uns schonungslos zu fragen, welche Schluesse wir daraus ziehen. Die "Lehren", die wir aus der historischen Erfahrung Auschwitz ziehen koennen, sind zunaechst einmal keine positiven. Anhand von Auschwitz ist es uns lediglich moeglich, die Tatsachen und Bewegungsablaeufe der conditio humana deutlicher als sonst irgendwo zu studieren. Auschwitz "lehrt" uns fuers erste die erdrueckende Erkenntnis von unserer Verdammnis an die "universelle Prostitution" (Ingeborg Bachmann) um unserer Existenz und unserer wie auch immer gearteten Beduerfnisse willen. Lehrt uns unsere Ohnmacht. Lehrt uns alles ueber "Opfer" und "Taeter". Wenn auch vereinzelt Liebe sich in ihrer Schoenheit zeigen konnte, so ist doch das ueberwaeltigende Erscheinungsbild in Summe in zahllosen Formen ihrer Zerstoerung sichtbar, denn hier ist ueber die weitesten Strecken nichts als nackte, grausamste, abartigste Bosheit zutage getreten. "Die Welt ist alles, was der Fall ist." (Ludwig Wittgenstein) Das "Boese" wird in Auschwitz als solches erkannt und festgestellt. Hier besteht wohl die einmalige Gelegenheit, der Natur des Boesen auf alle seine Spuren zu kommen. Nackt mussten die Menschen in Auschwitz voreinander hintreten, nackt wie im Paradies. Auschwitz hat uns das Antlitz des Menschen in ueberwaeltigender Mehrheit der Eindruecke universale Grauenhaftigkeit vor Augen gefuehrt, hat auch uns das Bild vom "guten Menschen" beinahe restlos zerstoert, hat sich hier die Menschheit wohl ihren "g'ttfernsten" Punkt erschaffen und den groesstmoeglichen Kontrapunkt zur Vorstellung eines "Paradieses". Und wie dem nun allem begegnen und nicht den Verstand darueber verlieren? Wie mit dem Tumult in Hirn und Herz fertig werden? Wie die Auschwitzer Augen, aus denen uns mittlerweile fast die ganze Menschheit anschaut, ertragen lernen? Und immer wieder sich der Frage stellen: "Wozu diese Erkenntnis" Wozu ueberhaupt noch Erkenntnis?" Auschwitz und seine Wahrheit duerfen aber auch nicht missbraucht werden. Dieser Missbrauch passierte und passiert. Nur mit der groessten Vorsicht also sollten und duerfen wir uns dieser Wahrheit ueberhaupt naehern. Auschwitz ist eine kulturgeschichtliche Verletzung, die fuer immer in unsere Gehirne eingebrannt bleiben, als individueller Schmerz fuehlbar bleiben mus. Es soll sich uns zeigen, dass Auschwitz nicht "hinwegtherapiert" werden kann. Nichts kann hier im konventionellen Sinne "heilen", kein angerichteter Schaden kann mehr behoben, nichts kann "erledigt" werden. Und vielleicht ist gerade das das fuerr uns "Heilsame" an Auschwitz, dass es immer mehr Fragen wird offen lassen, als es bereits ist, Antworten zu geben. Dass es uns noch einmal und immer wieder verstummen laesst, wenn es um "letzte Dinge" geht, wenn es letztlich um uns selber geht, hier und heute. Auschwitz hat fuer uns das Universum des menschlichen Verhaltens und Empfindens ausgedrueckt, darum gibt es uns eine universale Vorstellung von uns selbst. Indem wir uns umfassend trauernd an Auschwitz erinnern, "erloesen" wir Auschwitz stets aufs Neue in unser "Verstehen" hinein, und indem Auschwitz ueber uns selbst berichtet, erkennen wir uns selbst und sind auf eine vorerst absolut erschreckende Weise in ihm "erloest". Es muss immer wieder gesagt werden: Auschwitz bedeutet die vollkommene Zerstoerung des Menschen, eine Zerstoerung auf allen Ebenen seiner Existenz, bedeutet die Vernichtung seines Koerpers, seiner Psyche, seiner Intellektualitaet, bedeutet die Vernichtung aller seiner bis dahin gueltigen moralischen und ethischen Wertvorstellungen, die es Menschen ermoeglichten und ermoeglich, sein DA-sein in Liebe zu begruenden. "In Auschwitz wurde der liebe Gott vergast!" (Ein juedischer ehemals jugendlicher Ueberlebender) Sicher ist, dass hier fast alle in unserem Kulturkreis bislang gueltigen religioesen Vorstellungen, Utopiekonzepte, aesthetischen Standards und philosophischen Hoehenfluege durch die Schornsteine geblasen und vorerst einmal fuer null und nichtig erklaert worden sind. Sind sowohl Eros, Liebe als auch jedwede Aura des Todes elend verreckt, ist Blut im Kot versickert und hat sich der Mensch in der absolut dominanten Anzahl seiner Potentialitaeten als soziales Raubtier, als grauenerregendes Ungeheuer erwiesen. In den Auschwitzer Strukturen sind wesentliche Strukturen unserer Zivilisation enthalten. Oder laermt die Gegenwart nicht staendig: Krieg, atomarer Holocaust, Genocid, industrielle Ausbeutung, Folter, Mord, Sklaverei, Hunger, Massenelend, Menschenzuechtung, unermessliches Tierleid, Zerstoerung der Natur? Und genauso wie Auschwitz ist dieses uferlose Leiden in der heutigen Welt ein von Menschen verursachtes. Wir Menschen sind doch dem Anschein nach alles andere als die "Krone der Schoepfung", fuehren wir doch vielmehr ihre Vernichtung herbei, denn wir sind im Begriffe, unsere Mutter, die Erde zu zerstoeren. Apokalyptische Feuer brennen bereits, an allen Enden der Welt. "Die gestundete Zeit wird sichtbar am Horizont." (Ingeborg Bachmann) Wenn wir das 20. und 21. Jahrhundert verstehen wollen, so muessen wir im "Buch Auschwitz" lesen, dort steht alles geschrieben, was es Wesentliches dazu zu sagen gibt:
Gas und Muselmann sind die Essenz von Auschwitz. An Auschwitz, seinen Ursachen und seinen Folgen, an uns kann diese unsere Welt tatsaechlich zu Grunde gehen: "Ich glaube, in den Schrecken des Dritten Reiches ein einzigartiges, exemplarisches symbolisches Geschehen zu erkennen, dessen Bedeutung allerdings noch nicht erhellt wurde: die Vorankuendigung einer noch groesseren Katastrophe, die ueber der ganzen Menschheit schwebt und nur dann abgewendet werden kann, wenn wir alle es fertigbringen, Vergangenes zu begreifen, Drohendes zu bannen." (Primo Levi) Solange das Hoffen auf den Frieden nicht aufhoert, solange man eben die Hoffnung nicht aufgibt, dass "Alles" irgendwie schon gut gehen wird, solange man die Tatsache des Krieges nicht akzeptiert, verbleibt man in der groesstmoeglichen psychischen und intellektuellen Irritation, verkennt man zur Gaenze die Realitaet und ihre Fakten. Deshalb muessen wir uns "dem Boesen" stellen und seine vielfaeltige Evidenz endlich zur Kenntnis nehmen. Und erst, nachdem wir es in all seinen Ursachen und Ausdrucksformen erkannt haben, wenn wir das grauenvolle Leid, welches in seiner Folge ueber die Menschen kommt, in unsere Herzen dringen haben lassen, und wenn wir selbst so tief erschuettert und zugleich auch angewidert sind von ihm, dem Boesen um uns, dem Boesen in uns, wenn wir auch bis zu seinem verletzten Kern vorgestossen sind und ihn gehoben haben in unsere Liebe, dann werden wir uns ihm vielleicht mit all unserer Kraft widersetzen. Dann wird vielleicht seine Erkenntnis in einen heilsamen Schock muenden und unsere "Umkehr" zur Folge haben. Und dann duerfen wir vielleicht wieder zu hoffen anfangen. Und kommt es nicht auch darauf an, sich dem Thema Auschwitz von Seiten der Wissenschaft her sich grundsaetzlich mit neuen Akzentsetzungen zu naehern? Kommt es nicht darauf an, gerade anhand von Auschwitz die Intentionen wissenschaftlichen Erkenntnisgewinnes sowie die dabei anzuwendenden Methoden grundsaetzlich neu zu ueberdenken? Denn vergessen wir es nicht: Auschwitz ist unter anderem das Produkt wissenschaftlich genauer Vorgangsweise gewesen. In Auschwitz waren auch Wissenschafter am Werk! Wenn wir dem nach wie vor unerloesten Leid der Ueberlebenden begegnen, der fast nicht mehr moeglichen Kommunizierbarkeit der Auschwitzer Leiderfahrung, stellt sich da die Frage nach dem, was wir aus seiner Mitteilung lernen wollen und sollen, nicht umso draengender? Wozu sollten wir denn dieses Leid im Erinnern noch einmal strapazieren, wenn nicht um unserer prinzipiellen zutiefst aufrichtigen Lernbereitschaft willen? Hat sich denn nicht auch die gesamte Wissenschaft in all ihren Disziplinen neuen Standortdefinitionen zu unterziehen, zuerst und vor allem im moralisch-ethischen Bereich? Und soll sie nicht generell wieder verpflichtet werden einer Ethik des Wohlwollens und der Liebe? Dies alles, wenn wir nicht Opfer jener Geisteskrankheit werden wollen, die Georg Picht als "dementia rationalis" bezeichnet hat? Hat sich die Wissenschaft nicht freiwillig zu verschliessen gegenueber ihren eigenen bereits bestehenden Moeglichkeiten, den Moeglichkeiten ihres weiteren Fortschritts, der Anwendung ihrer Erkenntnisse. Dies gerade deshalb, weil sie mittlerweile sehr genau Bescheid weiss um die Konsequenzen ihrer Erkenntnisgewinne? Und hat nicht bereits der Wissenschafter Erwin Chargaff von einem "zweiten Suendenfall" im Zusammenhang mit dem naturwissenschaftlichen "Reduktionismus" gesprochen? (Im Jahr 2023 - vernahm unlaengst ich die sehr eindruecklich und ueberaus ernst gemeinte Botschaft eines jungen Wissenschafters im Bereich Biologie, der allen Ernstes feststellen, Menschen seien lediglich "algorithmengesteuerte biologische Maschinen"! Sic!) Oder habe ich da etwas ganz und gar falsch verstanden? Ja, muessen wir denn nicht diese Wissenschaft, auch im Wissen, dass der Ruf ungehoert bleiben mag, sie aber dennoch rufen zur "Umkehr", gerade vom Boden Auschwitz aus? Die Qualitaet unseres Bewusstseins entscheidet ueber die Qualitaet unseres Verhaltens. Form und Qualität der Integration der Erinnerung an Auschwitz in unser kollektives Bewusstsein entscheidet darueber, wie wir unser Leben auf dem blauen Planeten weiter gestalten. Hier und Heute. Unsere Antwort auf Auschwitz kann nur in unendlicher Trauer um sein unausloeschliches Trauma und in grenzenloser Liebe bestehen, in tiefster Ehrfurcht vor jenen Ruinen an Schoenheit und Leben, die unser enthemmter Vernichtungswahn noch zurueckgelassen hat. Unsere Antwort auf Auschwitz kann nur in einer generellen Abkehr von allen unseren Handlungen bestehen, die uns Zerstoerung und Vernichtung bringen. Nur was man liebt, vermag man nicht zu zerstoeren. Finden wir wieder einen Weg, den Dingen unserer Welt, der Welt gegenueber in Liebe zu agieren, sie wieder zu lieben. Dann, nur dann werden wir uns davor bewahren, sie zu Grunde zu richten. Wir sind im realen Besitz der Potenz, die gesamte Erde zu vernichten, aber an uns ist es auch, sie wieder in einen Garten zu verwandeln. Fuer beide Moeglichkeiten haben wir sowohl die Mittel, als auch die Verantwortung in der Hand. Die bleibende Erinnerung an Auschwitz sollte uns dazu anhalten, den schmerzhaften Weg der Umkehr anzutreten und so den Planeten vor seinem Untergang zu bewahren. Das Heilige bedarf des Tempels. Es ist an der Zeit, den Tempel wieder zu errichten, nachdem wir jeden seiner Steine in den Auschwitzer Schlamm getreten und dort das Allerheiligste in Form von Rauchschwaden verbrannter Menschenleiber in den Himmel gejagt haben. Stein fuer Stein muessen wir in ekelerregender Erinnerung wiederfinden, um einen alt-neuen Tempel zu errichten, in welchem wir alle der Ermordeten gedenken koennen. Ein Tempel, in dem wir vielleicht wieder im Stande sein werden, die Gebote und Botschaften der Liebe zu vernehmen. Auschwitz war zuerst eine juedische Tragoedie, aber Auschwitz ist mehr als das. Und nur ueber den Weg des allumfassenden schonungslosen und doch liebenden Erkennens vermag es vielleicht zum allerletzten Acker des Lebens fuer die gesamte Menschheit zu werden.
Margaretha Rebecca Hecht Hopfner, Wien, 1986 bis 2003. |
2023 |