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Die Lassithi
Hochland zu Fuessen des Zeus ...
von Margaretha Rebecca Hecht Hopfner |
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Die Lassithi-Hochebene im oestlichen Zentralkreta inmitten des Dikti-Gebirgsmassivs gehoert zweifellos zu den grossen touristischen Anziehungspunkten der Insel. Dies mit gutem Grund, denn gelangen wir hier tatsaechlich zu einem der Ursprenge unseres geistigen Seins, denn hat nicht der Mythos in unmittelbarer Naehe zu diesem fruchtbaren Land den Geburtsort des Gottes Zeus, des Vaters aller Europaeer, festgeschrieben.
Die Hochebene selbst erstreckt sich in etwa 840 m Seehoehe ueber eine Gesamtflaeche von 45 qkm Schwemmlandes, welches seine Bewaesserung der Schneeschmelze aus den Bergen verdankt, und sie war im Bereich des heutigen Dorfes Tzermiado bereits in minoischer Zeit besiedelt. Kartoffeln gedeihen vorzueglich, die zu den allerbesten Kretas zaehlen und natuerlich gedeiht noch viel, viel mehr auf Lassithi: Gemuese, Getreide, Obst, Kraeuter. Die Erde wird ganzjaehrig bewirtschaftet, und dreimal pro Jahr koennen ihre Fruechte geerntet werden in diesem gesegneten Hochland zu Fuessen des Zeus ...
Gebirgsketten umkraenzen die Lassithi, ein Straesschen umrundet sie unscheinbar, ebenso haben sich einige Dutzend kretische Doerfer in aller Ruhe angesiedelt und verbreiten gelegentlich gar antikes Flair und Wohlbefinden. Vom Dorf Psichro im Suedwesten der Ebene aus etwa geht es ueber eine Treppe zum Eingang der Hoehle des Zeus: Hier - im Dikti-Massiv - soll dem Mythos zur Folge Zeus, der ja in minoischer Zeit wahrscheinlich ein Vegetations-, ein Fruchtbarkeitsgott war, geboren worden sein. Die Hoehle, die heute museal erschlossen und begehbar gemacht worden ist, diente in der Antike als Kultstaette, so erzaehlen es uns jedenfalls zahlreiche der hier aufgefundenen Kultgegenstaende.
Mit Lassithi verbinden wir auch das Bild der tausenden weissbetuchten Windraeder, welche die Wasserpumpen mit der noetigen Energie versorgten. Wer allerdings gekommen ist, um eine Ebene anzutreffen, auf der diese Windbraeute einem Blumenmeer gleich ausgegossen sind, wie er sich dies womoeglich nach dem Anblick von Fotos aus frueherer Zeit erhofft hat, wird enttaeuscht, denn heute wird das kostbare Wasser unter anderem wegen des sinkenden Grundwasserspiegels groesstenteils mit Hilfe motorbetriebener Pumpen an die Oberflaeche befoerdert und den allermeisten Windraedern sind ihre schoenen Bluetenblaetter abgefallen. Die meisten von ihnen stehen nun nackt in der weiten Ebene, und nur da und dort noch gruesst weisses Tuch denjenigen, der sich nach Vergangenheit sehnt ...
Die auf Kreta seit dem 13. Jahrhundert herrschenden Venezianer verstanden es ebenfalls, die Lassithi-Hochebene als landwirtschaftliche Ressource zu nutzen. Sie errichteten ein Kanalisationssystem, welches bis heute in Funktion geblieben ist: Das ueberschuessige Schmelzwasser wird abgeleitet, unterirdisch gesammelt und der gezielten den landwirtschaftlichen Beduerfnissen angepassten Bewaesserung zugefuehrt. In dieser zeitlichen Periode wurde insbesondere der Getreideanbau kultiviert, und ich bilde mir ein, gehoert zu haben, dass die Ueberreste jener Getreidemuehlen, die am nordwestlichen Rand, in unmittelbarer Nachbarschaft der Einfahrt in die Ebene auf dem Passruecken des Ambelos Passes stehen, aus der venezianischen Epoche stammen. Diese Zeugen der bewegten Vergangenheit Kretas gruessen die Ankommenden schon von weitem und stehen wie stille Waechter der Zeit in unserer Gegenwart, um uns zu mahnen und an die schleichende Vergaenglichkeit allen Seins ebenso wie an die Kurzlebigkeit all unserer Muehen, Sorgen und Freuden zu erinnern ...
In den Jahrhunderten der Fremdherrschaft wie eben jener der Venezianer und der Tuerken diente die Lassithi den Kretern mehrfach - wie einst schon am Ende der minoischen Epoche fuer Teile der eteokretischen Restbevoelkerung - als Rueckzugsgebiet. Allerdings wurden die Widerstaendischen von den Besatzern wiederholt niedergekaempft, das Land mehrfach verwuestet, die einheimische Bevoelkerung entweder vertrieben oder aber unter grausames Joch gezwungen. Auch hier riecht also ein kretisches Paradies immer noch nach Blut!
Gerade das aber ist es, was ich in Kreta als eine seiner unverwechselbaren Besonderheiten wahrzunehmen lernte: Das Miteinander, Nebeneinander, Nacheinander, Ineinander von Leben und Tod und ... Auferstehung ... Auch noch so ungeheure Katastrophen konnten Kreta nicht seinen Lebensmut und seine Freude am Leben nehmen, und mit einer mir bislang unbekannten Ausdauer haben Kreter Jahrhunderte, ja Jahrtausende hindurch um ihre kulturelle und politische Eigenstaendigkeit und um ihre Freiheit gekaempft. Immer wieder wurden sie niedergekaempft und immer wieder sind sie - wie einst ihr Fruchtbarkeitsgott Zeus - aufgestanden und haben ihrem Land neues Leben gegeben ...
Folgenden Werken habe ich wichtige Hinweise fuer diesen Text entnommen:
M.R. Hecht Hopfner. Wien. 2023. Alle Rechte vorbehalten. |
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