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Sellia
Hier und Heute - Die Schoenheit der Ewigkeit
von Margaretha Rebecca Hecht Hopfner |
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In Sellia leiste ich den Verstorbenen Gesellschaft, schaue und erschaue das Dorf und sein Umland vom Huegel aus, auf dem die Totenkirche thront. Unwillkuerlich denke ich an einen Satz von Pandelis Prevelakis aus einem seiner grossen Romane, der sich meinem Gedaechtnis in dieser Formulierung eingepraegt hat: "Der Tod leuchte ueber dir wie eine Sonne!" Ich vernehme aufeinander folgend und miteinander verwoben Vogelgezwitscher, menschliche Stimmen von fern, vereinzelt Motorengeraeusche, Kindergeschrei, Eselwiehern ... und im Vibrieren der Luft den Atem einer anderen Welt ... Ploetzlich reisst ein Glockenschlag die Mittagsruhe entzwei! Mein Gedankenmeer traegt mich fort und schwemmt mich wieder hinein in Raum und Zeit ...
Der Anblick der ineinander verschachtelten, weissgetuenchten, unfertigen und schon wieder baufaelligen, ergrauten Haeuser laesst den Eindruck des Provisorischen entstehen. So als seien sie, kaum erbaut, sogleich fuer den Abschied bereit, und als wollten sie eins werden mit den Jahrtausende alten Ruinen Kretas, die von der ersten europaeischen Hochkultur Zeugnis ablegen. Wie oft mussten die Menschen Kretas im Lauf ihrer Geschichte die Zerstoerung all ihrer Lebensgrundlagen, den Raub an ihrem unmittelbarsten Hab und Gut hinnehmen! Kreter und Kreterinnen sind aufgestanden, jedes Mal, und haben ihrem uralten Land und seiner Fruchtbarkeit Ehrerbietung erwiesen. Nun geben sie wohl in Erinnerung an dieses immerwaehrende Werden und Vergehen auch ihre Haeuser einem schleichenden Zerbroeckeln preis, der Schoenheit des Verfalls alles Zeitlichen, in dem der Keim des Neuen und Vorwaertsstrebenden schlummert. Sie schmuecken diese ihre herbe grau-blau-weisse Trostlosigkeit mit den vergaenglichsten, zartesten Symbolen der Schoenheit und der stets aufs Neue erwachenden Lebensfreude, mit all der Farbenpracht der Blumen Kretas. Und in der Verschmelzung dieses Kontrastes ist das Leben wieder sich selbst und wir sind mit ihm versoehnt ...
Das Erschaffene wird ueberlassen dem Gesetz, der gegenwaertige Augenblick, Geburtsstaette und Hort allen Lebens, exstatisch verehrt: Hier und Heute auf immer und ewig!
Anmerkung: Sellia ist ein Bergdorf an der Suedkueste Kretas. Es liegt etwa zwei Kilometer oberhalb von Plakias, an den Berg geschmiegt, bei dem es schon seit Hunderten Jahren Schutz gesucht hat.
Folgendes Werk sei zur Lektuere waermstens empfohlen:
M.R. Hecht Hopfner. Wien. 2025. Alle Rechte vorbehalten. |
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