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Margaretha Rebecca Hopfner
"Wurzeln", "Herkunft", "Familie", ... -Zum Gebrauch gebräuchlicher Begriffe
Immer wieder lese ich diese Begriffe, täglich gebrauchen
wir sie, immer wieder verwende auch ich diese Worte. Und immer wieder stoße ich
mich an ihrer Multivalenz und ihrem undifferenzierten Gebrauch, auch wenn ich es
selber bin, die dabei gedankenlos ist. Allerdings ist gerade solche
"Gedankenlosigkeit" wohl "kein Wunder", handelt es sich doch
um Begriffe, die jeden von uns betreffen, deren fundamentale Bedeutungszusammenhänge
tagtäglich in unser Leben hereinwirken, ohne deren Vorhandensein wir schwer
unsere alltäglichen inneren und äußeren mentalen Zuordnungsprozesse vornehmen
und - kurz ausgedrückt - sinnvolle Kommunikation vor allem mit den uns am nächsten
stehenden Menschen bewerkstelligen könnten. So ist doch im Adoptionszusammenhang immer wieder sowohl bei Betroffenen selbst als auch in der Fachdiskussion und der Fachliteratur von "Wurzeln", "Herkunft", von "Herkunftsfamilie", "Herkunftseltern" usw. die Rede, wenn von den leiblichen, biologischen Eltern und deren Familien gesprochen und. geschrieben wird. Ganz automatisch werden dabei "Wurzel" und "Herkunft" gleichgesetzt mit der leiblichen, biologischen Abstammung des/r Adoptierten, seinem - wie ich es viel lieber nenne - Ursprung, dem Anfang seines/ihres Lebens. Wenn ich in diesem Zusammenhang diese Worte verwende, spreche, schreibe ich in der Regel ganz bewusst von leiblicher bzw. biologischer Herkunft und von leiblichen bzw. biologischen Wurzeln, ich vermeide es gezielt, das - auch darin vorhandene - volle psycho-soziale und sozio-historische Bedeutungsspektrum auf diesen Bereich meines Daseins anzuwenden, wobei mir jedoch vollkommen klar ist, dass es sich nicht vollständig davon abgrenzen läßt. Denn auch die Umstände meiner Zeugung, die Schwangerschaft meiner leiblichen Mutter, mein Werdegang bis zur und das Zustandekommen der Adoption enthalten wesentliche psychische, soziale und auch "historische" Elemente, sie sind eben nichts anderes als Geschichte im besonderen und im weitesten Sinn. Auch der Ursprung und Anfang meines Lebens haben demnach Geschichte, haben die innerhalb ihrer jeweiligen psychischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen mit ihrem kreativen Potenzial handelnden Menschen als ihre Voraussetzung! Bis zu dem Zeitpunkt, als ich "ausser Haus"
erfuhr, dass ich nicht das leibliche Kind meiner - von mir nach wie vor so
empfundenen - Eltern bin, dass ich adoptiert worden sei, war für mich - auch
die sprachliche Welt in der landläufigen Ordnung. Für mich hatten die Begriffe
"Mutter", Vater", "Großmutter", "Großvater",
"Onkel", "Tante" etc. - "Bruder" und
"Schwester" besaß ich nicht, ich war eben ein Einzelkind - keine
andere Bedeutung als auch für die meisten anderen Menschen um mich. Ich fühlte
mich als Mitglied einer "Familie", die seit Generationen ansässig in
einer geschichtsträchtigen Region Vorarlbergs in Österreich, dem
Bregenzerwald, war, und durch mein Aufwachsen dort wuchs ich auf mit der
Geschichte "meiner Familie" und hinein in die Geschichte des
Bregenzerwaldes, ich wurde eine "Wälderin". Meine damalige Identität,
das mir im Lauf meiner Kindheit ansozialisierte und von mir meinerseits auch
gerne angenommene Selbstkonzept meiner Person, bildete sich innerhalb der
spezifischen dortigen gesellschaftlichen Gegebenheiten meiner
"Heimat", und des besonderen persönlichen Umfeldes in meinem
"Zuhause". Ich war das "Kind" meiner "Eltern",
voll und ganz und ohne jeglichen Zweifel! Ich trug ihren Namen, und sogar meine
Vornamen waren die von Mama - und "Mama" würde ich niemals zu einer
anderen Person als zu meiner Adoptivmutter sagen - und der "Grossmutter",
so wie es dort öfters praktiziert wurde, dass Vornamen von Generation zu
Generation weitergegeben wurden. Meine Grossmutter kannte ich zwar nicht, sie
war schon längst verstorben, aber oft genug stand ich mit meinen
"Verwandten" bei kirchlichen Anlässen an ihrem Grab und konnte dort
ihren Namen lesen. Ausserdem erinnere ich mich, welch grossen Wert Mama auf die
Tatsache legte, dass ihr und mein Namenstag - der Festtag der heiligen
Margaretha, der Nothelferin - mit meinem Geburtstag zusammenfällt. Erst viel,
viel später dann, im Erwachsenenalter, habe ich verstanden, was sie damit
erreichen wollte: Sie brachte so ihren Namen mit meiner Geburt zusammen, sagte
auf diese Weise, dass sie mir das Leben gegeben hat. Dies ist nach meinem
heutigen Kenntnisstand auch nicht so unrichtig, denn die ersten Lebensmonate
habe ich mit - unterschriftlicher - Zustimmung meiner leiblichen Mutter und
deren Verwandten ausserhalb derer Familie bei Alkoholikern "in Pflege"
verbracht. Diese "Pflegeeltern" kümmerten sich offenbar derart "intensiv" um mich, dass
ich während dieser Zeit gleich mehrere Male ins Spital eingeliefert werden
musste. Aus den diesbezüglichen behördlichen Akten geht zweifelsfrei hervor,
dass die "Erziehungsverhältnisse" in jenem Haus äußerst "ungünstig"
gewesen seien und sich meine leibliche Mutter nicht um mich gekümmert hat. Im Gegenteil, noch ein paar Tage vor meiner wiederholten Spitalseinweisung im Jänner 1956 unterschrieb sie vor der Behörde einen Antrag dieser Leute auf Dauerpflege mit. Einige Wochen hat es vor einigen Jahren, als ich diese Dokumente zum ersten Mal in Händen hielt, gedauert, bis ich die volle Bedeutung dieser ihrer Unterschrift wahrgenommen habe, und bis zum heutigen Tage frage ich mich, ob sie denn nicht erkannt hat, in welcher Verfassung ich zu diesem Zeitpunkt bereits war. Und ich mußte und muß mich seither noch viele Fragen mehr in Bezug auf das Verhalten meiner leiblichen Mutter und ihrer Verwandten mir gegenüber stellen, ihr Verhalten damals und dasjenige in den folgenden Jahrzehnten bis zum heutigen Tag! Meine Mama jedenfalls hat mich im Alter von etwa sieben Monaten direkt vom Spital - ich war ohne Krankenversicherung, bekanntermaßen das Kind eines amerikanischen Besatzungssoldaten und trug einen für damalige und dortige Verhältnisse geradezu gefährlich "exotischen" Namen, was - wie ich aus mündlicher Quelle weiss - sich in einer nicht gerade "bevorzugten" "Behandlung" in diesem Spital auswirkte, was so viel bedeutet, dass ich auch in den Wochen meines Krankenhausaufenthaltes schlicht und ergreifend nicht ausreichend zu essen erhalten haben dürfte (und ich habe keinen Grund, den Wahrheitsgehalt dieser mündlichen Mitteilung anzuzweifeln, zumal kein Geringerer als mein Adoptivvater selbst dies sagte) - zu sich nach
Hause geholt, hat mir im Grunde genommen das Leben gerettet, mich mühsam gesund gepflegt, mir ihren Namen gegeben und alle Liebe,
zu der ein Mensch fähig ist. Sie hat mich eingepflanzt in "ihrem
Land", ich habe dort meine "Wurzeln" geschlagen und neue Wurzeln
sind mir gewachsen, mit denen ich mich fest im "Mamaland", in
"meinem Bregenzerwald", verankert habe. Mit Wehmut schreibe ich heute
diese Zeilen, denn mittlerweile schmerzt mich eben auch diese - zweite -
Entwurzelung, empfinde ich Sehnsucht nach dem Land meiner Kindheit, und ich
weiss nicht mehr, was mir mehr weh tut, das Zerreissen meiner ersten
menschlichen Bande am Anfang meines Lebens, oder die dann über Jahre andauernde
Desintegration aus der Gesellschaft meiner Adoptiv-Eltern. Was aber hat sich damals geändert in meiner Sprachwelt,
mit meinen "Familien"begriffen, als ich in Form eines Nebensatzes
gleich einem Schlag ins Gesicht von meiner Adoption erfuhr? Alles und nichts!
Zum einen war nichts mehr so wie es war, und zum anderen blieb das meiste gleich
und ich klammerte mich an das, was ich hatte. Vieles hatte sich allein durch den
Tod von Mama verändert, meine Schutzmacht war - auch für die anderen erkennbar
- nicht mehr existent, und ich spürte, wiee mein sozialer Wert zusehends
verfiel, dass die Mama es war, der Respekt gezollt wurde, und mir nur so lange,
als ihr Wille dafür Sorge tragen konnte, dass dem so zu sein habe. Nur deshalb
auch war möglich, dass nun "Aufklärung" von aussen an mich
herangetragen wurde, denn niemand hätte dies gegenüber meiner noch lebenden
Mama gewagt. Drei Jahre lang habe ich mich nicht getraut, meinen Vater nach der
Wahrheit zu fragen, in der Angst, es könnte wirklich wahr sein, und als ich es
dennoch dann tat, trat er mit Tränen in den Augen auf mich zu, nahm mich in die
Arme und sagte zu mir: "Aber das macht doch nichts. Du bist MEINE
TOCHTER." "Eltern" hatte ich also nach wie vor, Däda blieb mein
"Vater" und Mama meine "Mutter", in meiner kindlichen
Glaubenswelt war sie ja noch "im Himmel" existent und schaute auf
mich. Und schon ein paar Wochen drauf waren leibliche Verwandte mütterlicherseits zur Stelle, es handelte sich um meinen leiblichen Grossonkel, bei dem seinerzeit meine leibliche Mutter aufgewachsen war. Von ihm erfuhr ich einiges von dem, was in den ersten Monaten meines Lebens vor sich gegangen sein soll, welche Rolle er dabei gespielt hatte, beziehungsweise welche Rolle er damals eben nicht übernehmen konnte, nämlich mich in seine Familie aufzunehmen. Aber nun hatte ich plötzlich wieder einen "Onkel", war da eine neue "Familie", die sagte: Du gehörst eigentlich zu uns! Dieser mein leiblicher Grossonkel lud mich einige Male ein, machte mich mit der Familie seines Sohnes bekannt und wollte wohl etwas "gutmachen", indem er ein Treffen mit meiner leiblichen Mutter arrangierte, die zu diesem Anlass aus den USA anreiste. Das Zusammentreffen mit meiner leiblichen Mutter fand dann auch bei ihm zuhause statt, zwischen ihr und mir blieb das Verhältnis unterkühlt, war da ja kaum Gelegenheit, mit ihr allein zu sein, zu sprechen ... Kurz darauf starb mein leiblicher Grossonkel und was mir von dieser Phase meines Lebens blieb, waren einige wenige Besuche bei seinem Sohn, ein paar fehlgeschlagene Kommunikationsversuche mit meiner leiblichen Mutter und das Gefühl, NIRGENDWO mehr dazuzugehören, ausser zu meiner mittlerweile geborenen Tochter. Weder im Bregenzerwald war ich noch "zuhause", noch hatte ich ein Gefühl von echter "Zugehörigkeit" zu meinen leiblichen Verwandten entwickeln können und wollen, denn ich fühlte es hauptsächlich: Grundsätzlich unterschiedliche Sozialisationen konnten nicht durch ein paar gemeinsame Gene und einige Zusammenkünfte einfach wettgemacht werden. Und hinsichtlich der Familienbegriffe, wie sie sich in mir präsentierten, auseinanderdividierten, neu formierten, musste ich fortan und muß ich heute noch feststellen, dass ich beim Gebrauch der Worte größten Wert dabei lege auf die Unterscheidung zwischen der Familie, in der ich aufgewachsen bin, und jener Familie, jenen Familien, denen ich von der biologischen Abstammung her zugeordnet und verbunden bin. Meine Adoptivfamilie und - in meinem heutigen Leben besonders wichtig - meine Tochter, die ich allein großgezogen habe, empfinde und denke ich als meine "eigentliche", meine "echte Familie". Hier war und ist - zumindest so lange dies funktionierte und funktioniert - sozialer Austausch und Rückhalt vorhanden, dort war und hier ist meine Anwesenheit mit Rechten und Pflichten abgesichert (Auf das sogenannte "schwache Erbrecht" von Adoptierten in Österreich, das nur bis zu den Adoptiveltern reicht, gehe ich hier nicht ein!), es gab und gibt Menschen, die mir gegenüber Verpflichtungen hatten und haben, für die ich Verpflichtungen hatte und habe, das alles fehlt ja fast zur Gänze bei der sogenannten leiblichen/biologischen Verwandtschaft. Dass es hier gerade in Österreich einige höchst suspekte, ja geradezu absurde rechtliche Bestimmungen gibt, die einen juristischen Konnex zwischen Adoptierter/m und den leiblichen Eltern belassen, will ich nun nicht erörtern, weil dies zu weit führen würde. Begriffe wie "Vater", "Mutter", "an Kindes statt", "Kind", "Tochter" etc. erlangten und erlangen Rechtswirksamkeit, denn wie meine Adoptiveltern als meine "Eltern" mein Überleben und Leben in der konkreten Sozietät arrangierten und mir darin einen konkreten - auch mit wertvollen Rechten ausgestatteten - Platz gaben, tue ich dies heute - ebenso wie ihr Vater - für meine Tochter. Und wenn ich irgendwohin gehe im Leben, mich selber weiterentwickle oder an einem neuen Ort Platz nehme, mich einrichte und erneut heimisch mache, dann behaupte ich nun mit einer felsenfesten Überzeugung, dass ich, was meine ethisch-moralische Prägung, meinen beruflichen Werdegang, mein Denken und meine Sprache, ja sogar, was meine emotionale Feinstruktur anlangt, dass ich von meinen Adoptiveltern als meinen "Eltern", meinem "Zuhause"im und vom Bregenzerwald "herkomme", dass ich meine "Herkunft" mit diesen Menschen und dieser Region in Verbindung bringe und dass ich - immer noch - dort meine Wurzeln eingegraben habe. Somit ist das psychische und soziale Bedeutungsspektrum dieser Worte in diesem Zusammenhang für mich von entscheidend eigener psycho-sozialer Relevanz, die ich persönlich weder fähig noch bereit bin eins zu eins sprachlich umzulegen auf meine Verwandten leiblicherseits. Diese meine Erkenntnis hat sich dann später noch einmal in umgekehrter Richtung bewahrheitet, nämlich in jenem Erfahrungsprozess, als ich die leiblichen Verwandten väterlicherseits kennenlernte. Mein leiblicher Vater tauchte urplötzlich sozusagen aus dem Nichts auf, als ich gerade noch nicht dreißig Jahre alt war, erstürmte er mit einem buchstäblich "überwältigenden" Anlauf meine Zuneigung und - beinah - mein Vertrauen, wie er das seinerzeit in Kopenhagen blitzschnell bei meiner leiblichen Mutter erreicht hatte. Er kam, sah und sagte zu mir: "Ich bin da, ich liebe dich, du hast eine Familie." Wieder einmal "hatte" ich urplötzlich eine "Familie", war ich Mitglied eines großen Clans, sagte wieder jemand, ohne mich vorher zu fragen: "Du gehörst zu uns." Die Selbstverständlichkeit, mit der dies Menschen tun, die innerhalb ihrer biologischen als ihren sozialen Familien aufgewachsen sind, gibt mir nach wie vor zu denken, denn dort, wo für mich sämtliche emotionale und sprachliche Zuordnungen unklar, vieldeutig und unsicher sind, ist für sie "alles klar", besteht nicht der leiseste Zweifel, zumindest so lange nicht, als sie willens sind, einen aufzunehmen in ihre Familie, und vor allem so lange, als man/frau selbst ihre Spielregeln, ihre begrifflichen Definitionen, ihre Lebensinterpretationen übernimmt. Leider entpuppte sich die Suchgeschichte meines leiblichen Vaters in einem wesentlichen Teil als Lüge, denn er hatte seiner gesamten Familie erzählt, seinerzeit nichts von der Schwangerschaft meiner leiblichen Mutter mit mir gewusst zu haben, er habe erst später davon erfahren. Meine leibliche Mutter verneinte dies mir gegenüber entschieden und mittlerweile entdeckte amtliche Dokumente aus jener Zeit bestätigen ihre Version: Mein leiblicher Vater hat von mir noch vor meiner Geburt erfahren, er hatte vor seiner Abreise in die USA meiner leiblichen Mutter die Heirat versprochen und sie dann schlicht und einfach - wie es hierzulande so merkwürdig heißt - "sitzengelassen". Die Version "unserer" Geschichte, die er präsentierte, diente vor allem seiner Reputation in "seiner Familie", er wollte "seinen Kindern" dort zeigen, dass er ein "guter Vater" war und ist, und deshalb konnte er nicht einfach die Wahrheit sagen und sich dafür bei allen entschuldigen. Er wollte nicht MIR - wie er zunächst vorgab (!) - endlich jener "Vater" sein, der er seiner sozio-biologischen Bestimmung nach ursprünglich hätte sein sollen. Und: Er wollte nicht der Wahrheit meines Lebens ins Auge sehen. Aber DIE WAHRHEIT wollte ICH wissen auf alles hinauf, was ich bis dahin schon erlebt hatte. Die Wahrheit, beinah jede Wahrheit hätte ich verziehen! Die Wahrheit über ihn mußte ich aus den Erzählungen meiner leiblichen Mutter, seiner ehemalige Frau und denen meines leiblichen Grossonkels erkennen, da führte auch für mich kein Weg daran vorbei. Noch einmal also löste sich dieser "Vater" in Luft auf, musste ich in der Folge schmerzhafter als je vorher - war ich mit meiner Tochter ja ohne jeglichen familiären Rückhalt, und schon deshalb für seine "väterlichen" Signale entgegen starker erster Ressentiments empfänglich geworden - feststellen, dass ich ausserhalb der dortigen "Familien" - ich hatte auch die Familie meiner leiblichen Mutter bei dieser Gelegenheit kennengelernt - stand, begriff ich, dass dies niemals "meine Familien" waren beziehungsweise sein würden. Auch habe ich dabei an und in mir nach dem Abklingen der sogenannten "genetic attraction" festgestellt, wie gross - trotz gewisser Ähnlichkeiten in der äußeren Erscheinung und sogar in manchen emotionalen Dispositionen wie auch in einigen Verhaltensweisen und Einstellungen - DIE GROSSEN UNTERSCHIEDE sowohl in meineem psycho-sozialen als auch dem moralisch ethischen Design meiner Persönlichkeit zu denjenigen meiner leiblichen Verwandten sind. Zwar bin ich nicht in einem völlig fremden Kulturbereich zu dem ihrigen aufgewachsen, und vor allem bin ich, was mein Aussehen anlangt, bei dem ich grosse Ähnlichkeiten vor allem zu den leiblichen Verwandten väterlicherseits feststellen konnte, nicht wesentlich vom Erscheinungsbild der Menschen abgewichen, bei denen ich aufgewachsen bin und gelebt habe, dennoch stellte ich beim Kennenlernen meiner leiblichen Eltern, Geschwister und weiterer leiblicher Verwandter markante Verschiedenheiten in meinem mental-ethisch-moralischen Bereich zu dem ihrigen fest. Jedenfalls blieb mir als wesentliche Erfahrung aus diesen sogenannten "Reunions" NICHT das BEWUSSTSEIN, nun meine "Wurzeln" gefunden und meine "Herkunft" kennengelernt zu haben, denn ich empfinde einfach keine IDENTIFIKATION mit dem, was mir da an "Familiengeschichten" vermittelt wurde. Die einzige "Kontinuität", die ich daraus in meine Richtung erkennen kann, ist maximal die Weitergabe einer Diskontinuität, einer Ausgrenzung, die - wie ich weiss - in abgemilderter Form schon meinen leiblichen Eltern von diesen Familien angetan wurde. Und so gesehen hätte ich wohl nichts anderes als eine "negative Botschaft", ein "Nein" "ererbt", nicht jedoch den positiven geistigen "Besitzstand", jene Gedanken, Gefühle und Handlungen, über die diese Familien ihren "familiären Zusammenhalt" schufen und schaffen, sich "als Familie" definieren und ihren Mitgliedern ein psychisches, soziales und rechtliches Zuhause geben. Vielleicht muss ich aber doch noch eine kleine Ergänzung dahingehend anbringen, dass ich bei zwei meiner leiblichen Halbgeschwister - insgesamt habe ich neun davon - Ansätze einer Transformation der rein "genetischen Verwandtschaft" in eine soziale, jedoch niemals in eine rechtlich definierte, erkennen kann. Dies ist allerdings für mich nur unter der Voraussetzung möglich, dass diese "Geschwister" sich dauerhaft für mich interessieren, dass sie von sich aus ihr kontinuierliches Interesse an mir zeigen, erst das ermöglicht mir, die psycho-soziale Kluft, die durch getrennte Sozialisationen entstanden ist, zu überwinden und deren mentale Zuwendung in der Folge auch anzunehmen. Ich selbst habe nicht den Willen und die Kraft, diese Beziehungsarbeit von mir aus als Vorschussleistung einzubringen. Und wie zu ersehen ist, der Aufbau von Sozialkontakten, ob nun zu leiblich Verwandten oder anderen Menschen, erfordert einfach KOMMUNIKATION und ZEIT! Heute bin ich an dem Punkt angelangt, wo ich den Wirrnissen, in die mich das Leben gestürzt hat, einigermaßen entstiegen bin, oftmals noch ein wenig traurig über so Vieles, aber mittlerweile doch auch in gewisser Hinsicht dankbar für die Fülle an Erfahrungen, die ich gewonnen habe. Über mein Denken, Empfinden und Handeln schaffe ich mir meine WELT. Ich habe mir mein "Zuhause" BEI MIR eingerichtet, ich habe eine "Familie", klein ist sie, aber dafür umso kostbarer, und ich weiss zu wem ich auf welche Weise gehöre und zu wem nicht. Und ich weiss nun, VON WO ICH KOMME und WO ICH VERWURZELT BIN. Ich lege grossen Wert auf einen möglichst differenzierten Umgang mit all diesen so vielgebrauchten und vielen so selbstverständlichen Familienbegriffen. Denn die Sprache und ihr Gebrauch sind mächtig, mit ihr geben wir unserer Welt Qualitäten, und deshalb wünsche ich mir dass wir Acht geben mit diesen Worten: Vater, Mutter, Bruder, Schwester, Herkunft, Wurzeln, Familie ... Jeder und jede von uns Adoptierten sollte im Verlauf der
Herausbildung der je eigenen Persönlichkeit und Identität im Zuge des
Erwachsenwerdens und auch noch danach seine/ihre eigene/n Definitionen finden dürfen,
und ... WIR SOLLTEN SIE SELBST FINDEN DÜRFEN! Wien, im Oktober 2001
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